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Politik: Das Weltgewissen tagt

Die Globalisierungskritiker treffen sich in diesem Jahr in Bombay – durch das Scheitern der Welthandelsrunde sehen sie sich bestätigt

Von Matthias Meisner

Die Kehrseiten der Globalisierung – nach drei Weltsozialforen im brasilianischen Porto Alegre werden sie in diesem Jahr erstmals in einer anderen Ecke der Welt betrachtet. An diesem Freitag beginnt in der indischen Millionenstadt Bombay unter dem Motto „Eine andere Welt ist möglich“ das vierte Treffen. Knapp eine Woche lang wollen die erwarteten 75 000 Teilnehmer über Wege zu einer gerechteren Welt diskutieren.

Das Weltsozialforum der Globalisierungskritiker entstand 2001 in Brasilien als Gegengipfel zum Weltwirtschaftsforum in Davos. Im ersten Jahr kamen 20 000 Globalisierungskritiker, von Jahr zu Jahr gewann das Forum an Zuspruch. Dass ihr Fürsprecher Luiz Inacio „Lula“ da Silva zum brasilianischen Präsidenten gewählt wurde, motivierte die Globalisierungskritiker zusätzlich: Rund 100 000 reisten im Vorjahr nach Porto Alegre. Motiv für eine hohe Beteiligung könnte in diesem Jahr das Scheitern der Welthandelskonferenz im September 2003 sein. Viele Globalisierungskritiker werteten den Streit innerhalb der Welthandelsorganisation als ihren Erfolg: Entwicklungs- und Schwellenländer, voran Indien, Brasilien und Südafrika, hatten in der Debatte über Agrarsubventionen einen Kompromiss mit den Industriestaaten abgelehnt.

Für die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller, muss deshalb die laufende Verhandlungsrunde der WTO auch ein zentrales Thema des Weltsozialforums sein. Nach dem Scheitern des Gipfels in Cancun stehe die WTO selbst auf dem Prüfstand, sagt die Grünen-Politikerin, einzige Vertreterin der Bundesregierung in Bombay. Die Welthandelsorganisation müsse aber als multilaterale Organisation erhalten bleiben: Bilaterale Handelsverträge seien keine Alternative und häufig zum Nachteil der Entwicklungsländer. In einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) heißt Müller den Druck der globalisierungskritischen Bewegung ausdrücklich willkommen. Attac Deutschland kritisierte das Verhalten der Bundesregierung. „Sie betreibt Sozialabbau und nennt das Gestaltung der Globalisierung“, sagte Sven Giegold vom Attac-Koordinationsrat in Bombay.

Was die Globalisierungskritiker genau wollen, darüber erwarten sich einige mehr Aufschluss. Wenn Menschen aus 130 Ländern in über 1000 Veranstaltungen diskutieren, heißt das noch nicht, dass alternative Konzepte zu Welthandel, Rassismus und Krieg, Landwirtschaft und Rechten der Frauen vorliegen werden – wie Attac großspurig ankündigt. Feste Strukturen hat das Forum nicht, Vielfalt ist Programm. Aus zahlreichen Ländern hat sich Prominenz angesagt: etwa die iranische Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi, der frühere Weltbank-Chefökonom Joseph Stiglitz und die frühere UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Mary Robinson aus Irland. Aus Deutschland kommt Umweltvordenker Ernst Ulrich von Weizsäcker.

Inzwischen scheint das Forum so etabliert, dass es selbst Gegner mobilisiert: Die indische „Economic Times“ berichtete, dass sich eine Widerstandsgruppe gebildet habe, die im Weltsozialforum „keine Alternative“ sehe. Ihre Prognose: Die Debatten würden über „Wortgeplänkel“ kaum hinausgehen.

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