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DDR-Bürgerrechtlerin: Die Freie - Bärbel Bohley ist tot

Sie kämpfte und lächelte, stritt und gluckste. Als Bärbel Bohley 1989 das „Neue Forum“ mitbegründete, war das der Untergang der DDR. Am Samstagmorgen ist die Bürgerrechtlerin und Menschenkennerin gestorben.

Am Ende hat ihre Kraft nicht gereicht. Nicht mal ihre.

Bärbel Bohley ist am Samstagmorgen gestorben, die bekannteste Ostdeutsche nach Angela Merkel. Oder besser gesagt: vor Angela Merkel. Denn ohne Bärbel Bohley, diese starke kleine Kämpferin aus Berlin, wäre heute Deutschland nicht wieder ein ganzes Land, sondern immer noch zwei halbe. Und Angela Merkel nicht Bundeskanzlerin der ehemaligen BRD, die in diesen Tagen 20 Jahre deutsche Einheit feiern kann. Bärbel Bohley hat mit den Hunderttausenden, die auf den Straßen erst „Wir sind das Volk“ riefen und dann „Wir sind ein Volk“, den Staat abgeschafft, der sich Deutsche Demokratische Republik nannte. Jenes Land, das weder demokratisch war noch eine Republik. Und doch Heimat von 16 Millionen.

Sie wurde in Berlin geboren, 1945 zweieinhalb Wochen nach dem Ende des Krieges. Die Stadt zerbombt, die Gesichter vernarbt, und mitten im Aufbau wurden in Berlins Mitte neue Wunden geschlagen von der Weltpolitik. Ihre Kindheit verbrachte Bohley gemeinsam mit ihrem Bruder in der Trümmerlandschaft um den Reichstag. Die Menschen holzten den Tiergarten ab, weil es nichts mehr zum Heizen gab. Und Bärbel Bohley rollte sich als junge Jugendliche ihre erste Zigarette aus Klopapier und Pfefferminztee. Ihr Vater, ein Konstrukteur, fing als Lehrer neu an, die Mutter hielt den Haushalt am Leben. Schon beim Aufstand der Ost-Berliner Arbeiter am 17. Juni 1953, der von sowjetischen Panzern niedergerollt wurde, spürte die Familie den Druck: Bärbels Vater wurde arbeitslos, weil er sich weigerte, in die Staatspartei SED einzutreten. In der Familie wurde nachts diskutiert, heftig flüsternd. Als die Mauer gebaut wurde, war sie 16. Auf ihrem Abiturzeugnis stand: „Bärbel ist bockig.“

Sie ging arbeiten in der Industrie. Doch schnell suchte sie sich ein Feld, auf dem sie sich anders ausdrücken konnte. Anders, das hieß: selbst. Bärbel Bohley studierte an der Kunsthochschule Weißensee, wurde Malerin. Ihre Bilder: abstrakt, kräftige Farben. Leben konnte sie davon zunächst nicht. Sie verkaufte bemalte Ton-Eierbecher – in der jungen DDR eine von vielen Mangelwaren.

Aber es war nicht der Mangel an Dingen, der Bohley schnell schmerzte – es war der Mangel an Freiheit, der sie immer öfter ausbrechen ließ. Als 1970 ihr Sohn geboren wurde, beschlossen sie und ihr damaliger Mann, auch er ein Maler: Unser Kind entziehen wir dem Staat. Dem Kind wurde schließlich das Abitur verwehrt. Und die Mutter schloss sich mit vielen Freunden der auch östlich der Mauer entstehenden Friedensbewegung an – und wenn sie sich anschloss, dann hieß das: Sie ging vorneweg. 1982 gründete sie mit ihrer Freundin Katja Havemann, der Witwe des bekanntesten DDR-Dissidenten Robert Havemann, die Gruppe „Frauen für den Frieden“. Eine von vielen kleinen Revolutionen, ohne die eine große nie möglich gewesen wäre.

Katja Havemann und andere Freundinnen wie Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe haben Bärbel Bohley bis zuletzt gepflegt. Bis zum sonnigen Samstag, an dem sie zu atmen aufhörte. Gegen den Lungenkrebs konnten sie nichts ausrichten, die starken Frauen.

Bohleys größter Moment war ein Moment der Macht. Sie lag auf der Straße, und Bärbel Bohley hob sie auf. Am 4. November 1989 standen eine Million Menschen auf dem Alexanderplatz; sie standen auf für ein Land, das wirklich demokratisch sein sollte und wirklich eine Republik. Die DDR, gerade 40 Jahre alt und tatterig geworden wie ihr Anführer Erich Honecker, sah sich der größten Opposition überhaupt gegenüber: dem eigenen Volk, das mal nicht auf Befehl demonstrierte, sondern freiwillig und mit eigener Fantasie. Und Bärbel Bohley mittendrin und vorneweg. Als sie sah, wie Markus Wolf – ein Vertreter der alten Stasi-Macht – vor den Menschen stand und zitterte, sagte sie zu ihren Mitstreitern: „So, jetzt können wir gehen, jetzt ist alles gelaufen. Die Revolution ist unumkehrbar.“

Bärbel Bohley war standhaft geblieben. „Angst hatte ich nie“, erzählte sie später – das Wort „fast“ konnte man zwischen ihren lächelnden Mundwinkeln nur erahnen. Gegen alle ernsthaften Probleme, die ihr bereitet wurden, stellte sie sich innerlich immun: Ihre Berufsfreiheit wurde eingeschränkt, ihre Reisefreiheit selbst im sozialistischen Ausland auch, mehrmals wurde sie eingesperrt in Hohenschönhausen. In dem geheimen, dunklen Gefängnis, das mehr Vernehmerräume als Zellen hatte und in dem den Häftlingen nur Ausgang in einem kleinen Käfig gewährt wurde, in dem nicht mal Unkraut wachsen durfte, hier wurde sie festgehalten und unter Druck gesetzt. Als ihr der Stasi-Vernehmer mit zwölf Jahren Haft drohte, rief sie spontan: „Aber ich komme hier wieder raus, Sie nie.“

Wutentbrannt verließ er den Raum, und sie wurde abgeschoben nach England, damit endlich Ruhe war. Doch die Staatsfeindin kam nach sechs Monaten zurück in die DDR. Sie wollte es unbedingt.

Sie konnte lächeln wie ein Kind, sie konnte glucksen und losprusten und dabei den Rauch ihrer Zigarette ausstoßen. So munterte sie ihre Weggefährten auf, die immer zahlreicher wurden (auch im Westen, wie Petra Kelly von den Grünen). So trat sie immer offener ein für das Recht, eine eigene Meinung zu haben, reisen und reden zu können. Ihr Atelier in einer Wohnung von Prenzlauer Berg – Parterre, ohne Balkon, dafür mit Kakteen auf dem Fensterbrett – wurde ihr freies Land. Die Oppositionellen und jene, die dazu gemacht wurden, sammelten sich um sie, hielten sich an ihr fest.

In einem halben Land, das immer enger wurde, hatte Bärbel Bohley die „Initiative Frieden und Menschenrechte“ mitgegründet, später das Neue Forum. Das Gründungspapier mit dem Titel „Die Zeit ist reif“ war ein offener Reformaufruf. Hunderttausende unterschrieben, obwohl das verboten war. Damals, im Frühherbst ’89, wackelte die DDR schon durch die Ausreiser und Ausreißer. Und Bärbel Bohley rief wie so viele: „Wir bleiben hier.“ Als am 9. November 1989 die Mauer fiel, weil Günter Schabowski „sofort, unverzüglich“ durcheinander gekommen war, sagte sie: „Die Regierung hat den Verstand verloren.“

Wir bleiben hier. Wir ändern was. Das war Bärbel Bohley. Deshalb war sie fähig, sich selbst zu ändern, sich selbst zu hinterfragen. Nach der Vereinigung hungerte sie für offene Stasi-Akten und stritt mit Gregor Gysi über dessen Vergangenheit. Und sie empfing Bundeskanzler Helmut Kohl in ihrem Atelier – viele ihrer Weggefährten, die auf einen dritten deutschen Weg gesetzt hatten, wollten ihr das nicht verzeihen. Dabei hatte sie bloß nicht vergessen, auch auf die Menschen zu hören, die längst vom D-Mark-Wunderland träumten. Sie blieb kritisch, aber auch selbstkritisch. Ihr Satz, die Bürgerrechtler hätten Gerechtigkeit gewollt und den Rechtsstaat bekommen, wurde berühmt.

Wir bleiben nicht hier. Das sagte sich Bärbel Bohley zur Jahrtausendwende. Nun half sie mit ihrem Ehemann dort, wo es die Menschen dringender benötigten. Auf dem vom Krieg zerschundenen Balkan organisierte sie Sommerferien für traumatisierte Flüchtlingskinder. In Bosnien setzte sie Dächer auf kaputte Häuser und baute neue Trinkwasserleitungen für Bedürftige. Sie zog sich von der Weltpolitik zurück und kämpfte wieder im Kleinen für den Frieden. Glaubt man ihren Begleitern, machte sie das am glücklichsten. „Mein Leben hätte für zehn gereicht“, sagte sie einmal.

Weil sie krank wurde und schwach, kehrte sie 2008 nach Berlin zurück. Zunächst wieder in ihre alte Parterre-Wohnung im Prenzlauer Berg, in deren Umgebung inzwischen der Bionade-Biedermeier Einzug gehalten hatte. Der Überfluss verdross Bohley, diese Maßlosigkeit auch im Umgang mit Geschichte. Bärbel Bohley ist 65 Jahre alt geworden. Berlin hat eine am Ende stille Frau verloren, Deutschland eine seiner stärksten.

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