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Roland Koch

© ddp

Debatte um Jugendgewalt: In Hessen nimmt die Gewalt am stärksten zu

Schlechte Noten für Roland Koch: Ausgerechnet sein Bundesland Hessen hat die höchste Zunahme von Jugendgewalt im gesamten Bundesgebiet. Auch mit dem Vorstoß, in Ausnahmefällen auch Kinder nach dem Strafrecht zu belangen, gerät der Unionspolitiker weiter in die Defensive.

Hessen hat seit dem Regierungsantritt von Roland Koch (CDU) nach einer Untersuchung des Kriminologen Christian Pfeiffer in den vergangenen Jahren einen extremen Anstieg bei der schweren Jugendgewalt verzeichnet. Von 1999, dem Jahr des Amtsantritts von Ministerpräsident Roland Koch, bis 2006 habe es nach den Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik bei den gefährlichen schweren Körperverletzungen durch 14- bis 18-Jährige einen Zuwachs um 66,1 Prozent gegeben, sagte der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen.

Im restlichen Bundesgebiet, so berichtet die "Süddeutsche Zeitung" in ihrer heutigen Ausgabe, habe der Anstieg nur bei 28 Prozent gelegen. Die Gewaltkriminalität Jugendlicher insgesamt, zu der auch Raub und Vergewaltigung zählen, habe in Hessen um 35 Prozent zugenommen, in den anderen Ländern um zwölf Prozent. Eine der Ursachen dürften die langwierigen Jugendgerichtsverfahren in Hessen sein, sagte Pfeiffer gegenüber der "SZ".

Strafrecht für Kinder - Wulff ist skeptisch

Am neuen Vorstoß von Hessens CDU-Ministerpräsident Roland Koch in der Debatte über Jugendkriminalität scheiden sich derweil erneut die Geister. In seiner Kampagne für ein schärferes Jugendstrafrecht hatte Koch am Wochenende verlangt, die Gesetze in Ausnahmefällen auch auf unter 14-Jährige anzuwenden: "Wenn man betrachtet, wie im entsprechenden Milieu solche kriminellen Karrieren entstehen, dann muss man über die Anwendung des Jugendstrafrechts diskutieren. Diese kleine Minderheit entzieht sich nämlich allen anderen Bemühungen."

Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) beurteilte den Vorstoß von Hessens Regierungschef Roland Koch für die Anwendung des Jugendstrafrechts auch bei Kindern skeptisch. "Kinder sind Kinder", sagte Wulff heute vor der  CDU-Präsidiumssitzung in Berlin. Hierbei seien vor allem die Eltern gefragt. "Die Strafmündigkeit zu verändern, halte ich für falsch."

Der Präsident des Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, warnte in den Dortmunder "Ruhr Nachrichten" davor, "Kinder fürs ganze Leben zu stigmatisieren". Anstelle einer schärferen Bestrafung von Kindern unter 14 Jahren forderte er, weitere geschlossene Erziehungsheime zu schaffen. Hilgers kritisierte Koch dafür, dass es bislang in Hessen kein einziges dieser Heime gebe: "Herr Koch macht zwar große Sprüche - aber seine Problemfälle exportiert er nach Bayern, Baden-Württemberg oder Rheinland-Pfalz."

Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg, wies den neuen Vorstoß Kochs ebenfalls scharf zurück. "Wir brauchen doch keine Kinderknäste", sagte er der "Passauer Neuen Presse". "Der Vorschlag ist populistisch und unseriös. Die Strafmündigkeitsgrenze darf nicht herabgesetzt werden." Der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, Christian Pfeiffer, sagte demselben Blatt: "Das macht keinen Sinn. Je jünger Menschen hinter Gitter kommen, umso höher ist ihre Rückfallquote."

Unterstützung vom Bund Deutscher Kriminalbeamter - Kritik von Bosbach

Unterstützung für Kochs Vorschlag kam hingegen vom Vorsitzenden des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Klaus Jansen: "Das Thema Strafmündigkeit darf keine heilige Kuh sein. Ein elfjähriger Ladendieb ist nicht unser Problem - aber ein ausgebuffter Elfjähriger, der sich aufführt wie (Action-Darsteller) Chuck Norris in seinen schlimmsten Filmen."

Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz sprach von völligem Unfug Kochs. "Dieser Mensch dreht nun völlig durch", sagte er der "Thüringer Allgemeinen". "Jeden Tag kommt er mit neuen Unsäglichkeiten und jeden Tag werden seine Vorschläge schlimmer." Kinder gehörten "erzogen, nicht hinter Gitter".

Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Wolfgang Bosbach (CDU), zeigte sich in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" reserviert: "Wir sind bisher der Auffassung, dass die Strafmündigkeit bei 14 Jahren bleiben sollte." Wenn es um Problemfälle im Kindesalter gehe, sei in erster Linie Erziehungshilfe für die Eltern gefordert. Die Mittel des Strafrechts sind nach Ansicht Bosbachs verstärkt gefordert, wenn Eltern strafunmündige Kinder gezielt für Straftaten einsetzen. "Wenn Kinder als Werkzeuge für Diebstähle, Raub oder anderes missbraucht werden, muss das empfindliche Konsequenzen für die Eltern haben."

FDP findet Koch-Vorstoß "unglaublich"

Mit ähnlichen Argumenten stellte sich Sachsens Justizminister Geert Mackenroth (CDU) hinter Koch. Er sagte dem Sender MDR Aktuell, der hessische Regierungschef reagiere damit auf das Phänomen der sogenannten Kinderbanden. Dabei nutzten kriminelle Vereinigungen gezielt Kinder unter 14 Jahren aus, um Gewalttaten, Ladendiebstähle, Taschendiebstähle und ähnliche Delikte zu  verüben. "Sie nutzen die strafrechtliche Lage in Deutschland, dass Kinder unter 14 Jahren generell nicht bestraft werden dürfen."

Gewalttätige Kinder unter 14 Jahren sollen nach dem Willen der FDP in Zukunft "zwangsweise" in "geschlossene Heime" eingewiesen werden können, schreibt die "Bild"-Zeitung unter Berufung auf ein Neun-Punkte-Programm, das die Partei heute beschließen wolle. Der FDP-Fraktionsvorsitzende in Schleswig-Holstein, Wolfgang Kubicki, selbst Strafverteidiger, reagierte indes im "Tagesspiegel" verärgert auf die jüngste Forderung Kochs. Auf Kinder das Jugendstrafrecht anwenden zu wollen, sei "unglaublich". "Ein Politiker, der ausdrücklich den Schutz von Kindern groß schreiben will, darf mit einer Haftandrohung für Kinder nicht operieren." (jam/dpa/AFP)




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