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Politik: "Den Ehrentitel Störenfried muss man sich verdienen"

Philosoph Dieter Thomä, 58, lehrt an der Universität St. Gallen. In seinem jüngsten Buch "Puer robustus" befasst er sich mit der produktiven Kraft des Störenfrieds. Ein Blick auf Polterer wie Kevin Kühnert, Christian Lindner und andere.

Herr Thomä, was reizt den Störenfried?

Der Außenseiter tritt in Umbruchphasen auf. Dann tritt das Gefühl auf: Etwas stimmt nicht.

Welche Typen des Störenfrieds beschreiben Sie?

Außenseiter lassen sich gut anhand ihrer Aktionsformen auseinanderhalten. Da gibt es: das Aushöhlen der bestehenden Ordnung, das Anecken, das Aufbrechen und das Abkapseln.

Lässt sich das Stören der Ordnung erläutern?

Schauen wir auf die Finanzkrise: Da gab es Zocker, die aus purem Eigeninteresse das System ins Wanken gebracht haben. Die nenne ich egozentrische Störenfriede. Daneben gibt es jene, die anecken, die Grenzen ausloten und überschreiten, wie Künstler oder Spontis. Sie haben noch kein Ziel, stiften aber Unruhe. Die nenne ich exzentrische Außenseiter. Dann gibt es jene, die den Aufstand wagen, um eine neue Ordnung zu etablieren, die 68er etwa mit dem Marsch durch die Institutionen. In Anlehnung an das griechische Wort für Gesetz - nomos - spreche ich von nomozentrischen Störenfrieden. Schließlich gibt es jene, die sich abkapseln, das Experimentelle der Politik ablehnen und ein Bollwerk für ihren Protest errichten. Wenn sie zuschlagen, tun sie es in der Masse, so wie wir das beim neuen Rechtspopulismus sehen. Dies nenne ich massive Störenfriede.

Kühnert lässt Groko und SPD zittern. Doch fehlt ein positives Programm. Mehr als nur ein Anecker?

Mit Blick auf Macron in Frankreich oder Trump in den USA ist der Einfluss der Störenfriede in anderen Ländern viel größer. Der Störenfried hierzulande hat eher was Niedliches.

Aber Kühnerts Störpotenzial ist enorm...

Er erfüllt erstmal die klassische Rolle des Juso-Chefs: Aufstand gegen das Establishment. So wie seine Vorgänger Gerhard Schröder und  Andrea Nahles, die später alle im System ankamen.  Kühnert bündelt die tiefe Verunsicherung einer Partei, ein vages Gefühl, das sich was ändern muss. Die Wirtschaft brummt, doch herrscht eine tiefe Unruhe. Da ist etwas im Entstehen, aber das Ziel ist noch unklar. Daher sein Nahziel: Groko verhindern.

FDP-Chef Lindner gibt den Außenseiter und ließ Jamaika platzen. Egozentrischer Störer, um von der Implosion der Volksparteien zu profitieren?

Zum Störenfried braucht es mehr als nur  Unterhemd und Dreitagebart. Diesen Ehrentitel muss man sich verdienen. Jamaika war der Versuch, auf neue Zeiten mit einem neuen Bündnis zu antworten. Lindner hatte ein anderes Motiv. Er wollte seine Partei wiederherstellen. Und so ließ er Jamaika scheitern.

Jens Spahn in der CDU, ein Rebell aus konservativ-karrieristischem Kalkül?

Spahn kommt aus der Mitte des Systems, er ist ein Möchte-Gern-Aufständischer, kein so markantes Phänomen wie Kühnert. Spahn ist nicht allein. Was irritiert, ist die Geschichtsvergessenheit dieser Jungkonservativen. Man denke an Alexander Dobrindts seltsame Wiederbelebung der konservativen Revolution.

Was wäre Kern eines Konservativismus 2.0?

Es lohnt, zwischen dem Reaktionär und dem Konservativen zu unterscheiden. Der Reaktionär grenzt sich ab durch Ressentiments, er hat kein positives Programm, sondern ist nur dagegen und klammert sich an ein Feindbild. Der Konservative will, wie der Name sagt, etwas Wertvolles bewahren. Da beginnt das Problem. Ökologie, Digitalisierung, Globalisierung - auch der Konservative merkt, dass der Wandel unvermeidlich ist. Es bräuchte daher weniger eine konservative Revolution als eine Revolutionierung des Konservativen.

Der Störenfried tritt auf, wenn die alte Ordnung wankt. Worin liegt die Krise begründet?

Es gab ein Power Couple in der Geschichte: Kapitalismus und Demokratie. Ökonomischer und politischer Liberalismus gingen seit dem 18. Jahrhundert einher und versprachen Selbstentfaltung. Die Globalisierung löst den Kapitalismus von der Demokratie. Die Finanzströme sind weltumspannend und lassen sich durch nationale Demokratien nicht mehr regulieren. Es gibt den Anspruch auf Selbstgestaltung auf nationaler Ebene und zugleich die Einsicht, dass es einen supranationalen Ordnungsrahmen braucht. Ein tiefer Widerspruch.

Mit Blick auf Trump in den USA, Kaczynski in Polen und Viktor Orban in Ungarn geht es auch um die Bewahrung der liberalen Demokratie. Sind die Grünen als einstige Störenfriede nun als Hüterin des Erbes der 68er die neuen Konservativen?

Ich hatte die Ökologie angesprochen, der Erhalt der Schöpfung hat etwas Strukturkonservatives. Aber im Rückblick auf68 ist die Formel ;Das Private ist politisch" ja oft auch belächelt worden. Die Grünen haben aber heute mit einem anderen Problem zu kämpfen: der Privatisierung des Politischen. Reicht die Mülltrennung daheim oder dass ich in meinem Garten kein Glyphosat mehr verwende? Es fehlt den heutigen Grünen an der Ambition zur Repolitisierung.

Deshalb die neue Liebe zur alten Heimat?

Zur Krise der Demokratie kommt ein Zweites: China wirtschaftlicher Erfolg, der ohne Demokratie auskommt. Das alte Traumpaar Kapitalismus und Demokratie hat seinen Sexappeal verloren. Das schafft Unsicherheiten. Und unsichere Zeiten sind stets Hochphasen für Störenfriede.

Peter Riesbeck

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