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Karadzic

© AFP

Den Haag: Ein Tisch, ein Kopfhörer, kein Karadzic

Der Prozess gegen den bosnischen Serbenführer Radovan Karadzic wurde vom Haager Tribunal nach einem Boykott des Angeklagten vertagt.

Den Haag - Der Richter aus Südkorea schätzt Pünktlichkeit. Exakt um 9 Uhr eröffnet O-Gon Kwon den derzeit schwierigsten Prozess des Internationalen Strafrechts. Seine ersten Worte aber sind für viele Überlebende der Massenmorde während des Bosnienkrieges enttäuschend. „Ich stelle fest, dass Herr Karadzic nicht anwesend ist“, sagt der Richter. Nach weniger als 15 Minuten ist die erste Sitzung im Prozess gegen den ranghöchsten Repräsentanten der bosnisch-serbischen Kriegsführung beendet.

Wut macht sich breit unter den Frauen, die in Bussen aus Srebrenica und Sarajevo angereist sind, um zu erleben, wie Radovan Karadzic endlich zur Verantwortung gezogen wird. Für die Massaker an bis zu 8000 Männern und Jungen in Srebrenica, für massenweise Vergewaltigungen, Folter und Deportationen, für die Ermordung von Kindern, Frauen und Greisen durch Scharfschützen während der Belagerung Sarajevos.

Doch alles, was die „Mütter von Srebrenica“ und andere Opferangehörige zu sehen bekommen, ist der Tisch, hinter dem der Ex-Präsident der bosnischen Serbenrepublik bei den Vorverhandlungen saß. Und die Kopfhörer, über die er die Übersetzungen ins Serbokroatische verfolgt hatte. „Wir bleiben, bis er vorgeführt wird“, sagt eine Frau. „Hungerstreik!“, ruft eine andere.

„Sie verstehen nicht, wieso die Vereinten Nationen sie damals in Bosnien nicht ausreichend vor den Mördern geschützt haben und sich jetzt ein UN-Tribunal scheinbar vom Hauptschuldigen auf der Nase herumtanzen lässt“, sagt Rechtsanwalt Axel Hagedorn. Er vertritt rund 6000 der „Mütter von Srebrenica“ bei einer Klage gegen die UN.

Schließlich beruhigen sich die Frauen, verlassen das Gerichtsgebäude am Churchillplein 1. Auf diesen Dienstag hat O-Gon Kwon die Verlesung der Anklage vertagt. Vielleicht kommt Karadzic – entgegen seiner eigenen Ankündigung – ja dann. Vielleicht können sie ihm dann, durch die schusssichere Glasscheibe, ins Gesicht sehen.

Doch die Richter und auch die Staatsanwälte wissen längst, dass sie wohl auch den zweiten Prozesstag ohne den Angeklagten über die Bühne bringen müssen. Der hat in einem neuen Brief an das Gericht den Vorwurf bekräftigt, der Prozess sei nicht fair und mehr Zeit für die Vorbereitung seiner Verteidigung verlangt. Das Schreiben endet mit einem Satz, der sich wie eine Verhöhnung liest: „Ich würde meinen Prozess niemals boykottieren, aber wenn ich nicht vorbereitet bin, dann wäre das ja auch gar kein Prozess.“

O-Gon Kwon war einer der Richter im Prozess gegen den Ex-Präsidenten Serbiens, Slobodan Milosevic. Auch der politische Ziehvater von Karadzic hatte alles unternommen, um sein Verfahren zu verschleppen. Nach vier Jahren Prozessdauer starb er in seiner Zelle, mangels Urteil als unschuldiger Mann.

Der Richter habe daraus Lehren gezogen, hört man in den Gängen des UN-Tribunals. Er werde Karadzic „an die Kandare legen“. Mit Gewalt darf er den mutmaßlichen Massenmörder nicht vorführen lassen. Aber er kann – und wird vermutlich auch – einen Pflichtverteidiger für ihn bestellen. Dann könnte Karadzic bis zur Verkündung eines Urteils fernbleiben. Vor Ende 2012 wird damit allerdings so oder so nicht gerechnet.Thomas Burmeister (dpa)

Thomas Burmeister (dpa)

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