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Sack drüber und weg. Diese Szene haben Augenzeugen der Räumung in einem Video festgehalten.

© Tsp ( Privat via taz)

Umgang mit Wohnungslosen: Den Widerwillen überwinden

Die Polizei zieht in Mitte einer Obdachlosen ein Tuch über den Kopf, um sie abzuführen. War das verhältnismäßig? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Anna Sauerbrey

Es ist eine bestürzende Szene. Sie spielt schon vor einigen Wochen, nun aber ist ein Video aufgetaucht und eine Diskussion in Gang. Die Polizei hat am 9. Januar ein Obdachlosenlager im Ulap-Park in der Nähe des Hauptbahnhofs geräumt. Zu sehen sind zehn, fünfzehn Beamte. Anwesend war nur noch eine Wohnungslose. Das Video zeigt, wie Polizisten ihr ein Tuch um den Kopf wickeln und sie abführen. Sie soll sich nach Angaben des Bezirks Mitte aggressiv verhalten haben, das Tuch hätten die Beamten verwendet, um sich davor zu schützen, dass die Läuse, von denen die Frau befallen war, auf sie überspringen, heißt es. Zu sehen ist von Aggressivität auf dem Video nichts. War das verhältnismäßig?

Es wäre anders gegangen, sagt auch Dieter Puhl, Leiter der Bahnhofsmission am Zoo. Er kenne die Frau nicht, aber schon die Läuse seien ein Hinweis darauf, dass bei ihr "die Seele klappert", dass sie womöglich psychisch krank sei. Da brauche es keine Handschellen, sondern Zeit und einen Sozialarbeiter oder Arzt.

Die Temperaturen sinken, die Obdachlosenzahlen steigen. Sozialsenatorin Elke Breitenbach rechnet damit, dass in den kommenden Jahren in Berlin bis zu 47000 wohnungslose Personen untergebracht werden müssen. 2015 waren es nur knapp 17000. Es drängt sich also die bange Frage auf: Wie viel Zeit sollen und können Polizisten und Sozialarbeiter in einzelne Obdachlose investieren? Und wie viel Raum, wie viel Sichtbarkeit erträgt die Stadtgesellschaft?

Das Tuch, das die Polizisten der Frau über den Kopf zogen, ist beinahe ein Symbol für den Ekel und die Angst, die viele Menschen überkommen, wenn sie Obdachlosen begegnen. Mit ihnen kommen oft die Drogen, die Scherben, der Uringeruch, der Streit, manchmal auch der Tod. Im Kältebahnhof Moritzplatz starb im Januar ein Mann. Die Angst ist vielleicht weitgehend unbegründet – dennoch haben die Berliner auch einen berechtigten Anspruch auf saubere Parks und U-Bahnstationen.

Dieser Konflikt um den öffentlichen Raum wird dadurch verschärft, dass Obdachlosen die Öffentlichkeit hilft. Geht es ihnen besonders schlecht, werden sie dort vielleicht bemerkt, von normalen Bürgern oder zum Beispiel vom Kältebus. Die Kältebahnhöfe zum Beispiel helfen Menschen, die nicht in die Unterkünfte gehen würden, sei es, weil sie psychisch krank sind, sei es, weil dort Alkohol und Drogen nicht erlaubt sind.

Eine Formel, wie viel Sichtbarkeit zumutbar sind, kann es nicht geben. Doch gerade Polizei und Ordnungsamt sind dazu aufgerufen, ein Maximum an Umsicht mit diesen besonders schutzlosen Menschen walten zu lassen und die Würde derer zu respektieren, die so oft auf den ersten Blick keine mehr haben.

Dieser Artikel wurde nach Veröffentlichung redigiert. Im ersten Satz hieß es zunächst, es habe sich um eine "berührende" Szene gehandelt.

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