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Politik: Der angenehme Unbequeme

BONN .Eine Rede noch.

BONN .Eine Rede noch.Am Pfingstmontag, zum 50.Jahrestag der Staatsgründung.Welcher Anlaß wäre würdiger für ein Staatsoberhaupt, Abschied zu nehmen vom Amt? Sicher, bis zum Umzug aus dem Schloß Bellevue in die bayerische Heimat, nach Dachau, sind es noch ein paar Wochen.Der siebte Präsident der Bundesrepublik Deutschland trägt das Verfallsdatum 30.Juni 1999 unsichtbar auf die hohe Stirn geprägt.Aber irgendwann am Sonntag nachmittag wird sein Nachfolger fest- und Roman Herzog im Schatten des (oder der?) Neuen stehen.Eine viel beachtete Rede also noch, dann: Kofferpacken.

Im Grunde hat es schon begonnen: Die letzte Reise ist absolviert, der Reigen der Abschiedsinterviews geschlossen.Nun heißt es noch, heiteren Gemüts das seltsame Erlebnis der publizistischen Nachrufe bei lebendigem Leibe zu überstehen.Seinem ausgeprägten Sinn für Ironie entsprechend dürfte der Pensionär in spe der Ehefrau die frühstückliche Zeitungslektüre mit einigen ätzenden Bemerkungen bereichern.Dann noch einmal ein Stück rhetorisches Präsidentenhandwerk, wohl erwogen, wohl vorbereitet, sicher ebenso vorgetragen - aber: ohne Chance.Eine Rede wird es sein, eine von vielen; denn die Rede, sie ist längst gehalten.Vor gut zwei Jahren auf einer Hotel-Baustelle in Berlin hat Herzog jene vier Buchstaben formuliert, welche die Zeitgenossen und vielleicht auch die Geschichtsbuchleser künftiger Generationen mit seinem Namen verbinden: R-u-c-k.

Auch Richard von Weizsäcker, der übermächtige Vorgänger, hatte so eine Markenzeichen-Rede: Sie galt dem 8.Mai 1945, der deutschen Weltkriegs-Niederlage als Grundlage deutscher Befreiung zur Demokratie.Da wurde ein Geschichtsbild formuliert - daheim erst umstritten, dann als gültig anerkannt; international voll Erleichterung begrüßt als Ausweis der Läuterung im Lande des Holocaust.Roman Herzog plazierte seine imageprägenden vier Buchstaben in dem Satz: "Durch Deutschland muß ein Ruck gehen." Der plakatative Satz bildet das Kondensat einer Analyse, die der Gesellschaft "Erstarrung" sowie "eine unglaubliche mentale Depression" attestierte und zur Therapie "Innovation" als "Daueraufgabe" verschrieb.Mit diesem rhetorischen Rezept empfahl sich im April 1997 Professor Roman Herzog vor ausgewählten Honoratioren der Republik im Wiederauferstehungsstaub der Hotel-Legende "Adlon" als Arzt am Krankenbett der Republik gute 14 Jahre, nachdem sein christdemokratischer Parteifreund Helmut Kohl zu deren Regierungschef gewählt worden war.Die Enkel pflegen soetwas "einen Hammer" zu nennen; entsprechend laut hallte das Echo.

"Sehr eigenartige Rede von Herzog", murrte damals Kanzleramtsminister Friedrich Bohl, Kohls Sachbearbeiter für Machterhaltung, "sehr eigenartige Rede".Aber den Bundespräsidenten zu kritisieren, ist ein eigen Ding.Dem Kanzler hat die offenkundige Distanz zu Richard von Weizsäcker nie gutgetan.Also war Auslegung angesagt, und die ging so: Nicht die Regierenden waren gemeint, sondern die anderen.Reformstau? Na klar - aber schuld sei die SPD, hieß es, die mit ihrer Beton-Mehrheit im Bundesrat alle Reformen der Bundesregierung blockiert.So amtlich uminterpretiert paßte die Ruck-Rede ins strategische Konzept einer Regierungspartei, die allen Ablaß hatte, die eigenen Abnutzungserscheinungen anderen anzulasten.

Bleibt die Frage, ob die Exegese dem Werk Gewalt antat oder den Intentionen des Autors nicht doch ziemlich nahe kam.Zwar hatte die CSU Herzogs Namen zuerst ins Spiel gebracht, aber nach dem Scheitern seines ostdeutschen Kandidaten Steffen Heitmann war auch die zweite Wahl der Union Helmut Kohls Wahl.Er hatte den Professor über zwei Jahrzehnte zuvor in die Politik geholt.Ein Streit zwischen beiden wurde nie bekannt.Herzogs Hammer eignete sich sehr wohl zum Auftaktsignal für jene Kampagne, mit der die CDU die Bundestagswahl 1998 gewinnen wollte: Modernisierung.

Allein, der Ruck entzog sich der Steuerung.Auch der seines Erfinders.Vor zweifelnden Gesprächspartnern vom "Spiegel" lobte der Präsident die Wirkung der eigenen Rhetorik.An die Gesellschaft sei sein Appell gerichtet gewesen, behauptete Herzog in der Frühphase des Wahljahres, "nicht primär an die Politiker", und da habe "sich in letzter Zeit einiges geändert" - in Kommunen, in Schulen, an Universitäten, in Betrieben bildeten sich Reforminitiativen.Nur in der Politik tat sich wenig, abgesehen davon, daß auch die kleine liberale Regierungspartei begann, Helmut Kohl immer deutlicher als zentrales Reformhindernis auszumachen.

Der Präsident hatte mit d e r Rede offenbar den richtigen Ton getroffen - wie seine Frequenz überhaupt jene einer Mehrheit dieser Gesellschaft ist.Mochte die liberale Publizistik sich noch erregen, daß er in seiner ersten kurzen Rede nach der Wahl am 23.Mai 1994 versprach, dies Land zu repräsentieren, wie es sei - vor allem "unverkrampft".Wie man den unverkrampft, mit der deutschen Geschichte umgehen solle, tönte es verschnupft zurück.Doch die Erregung legte sich schnell.Roman Herzog machte den Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz zum zentralen Gedenktag, absolvierte den schwierigen Staatsbesuch in Polen mit Bravour und zeigte in China, daß man nicht von Menschenrechten schweigen muß, wenn man mit Diktatoren sich zu Tische setzt.

Vor allem aber wirkte er nach innen.Besser: Er gab einer weitverbreiteten Stimmung der Bevölkerung öffentlichen Ausdruck.Wer ärgerte sich denn nicht über eine schwerfällige Verwaltung, wer schimpfte nicht über überflüssige Subventionen, wer erregte sich nicht über Ungereimtheiten im Steuer- und Sozialversicherungssystem, kurz: Wer hatte nicht das Gefühl, es mit einem ziemlichen Reformstau zu tun zu haben? Die Stimme, die der Präsident dieser Stimmung der Bürger gab, ist eine des wohltemperierten Ärgers - gepolstert mit freundlicher Ironie, nicht schmerzhaft gespickt mit stechendem Sarkasmus.Eine seiner Standardwendungen: "Man wird ja noch mal fragen dürfen." Wer so fragt, weiß um die Begrenztheit der Erfolgschancen seiner Kritik; mindestens ahnt er sie.Herzogs Rhetorik ist die des gehobenen Bürgerstammtischs: Man läßt bei einem ordentlichen Schoppen die Welt Revue passieren, ordnet sie neu - und steht auf, um den alten Geschäften in gewohnter Weise nachzugehen.Das Etikett, "Präsident der populären unbequemen Wahrheiten" hat er als "mit Sicherheit richtig" akzeptiert.Der angenehme Unbequeme, den man gern zu Gast hat als Redner oder bei Tische.

Darüber läßt sich spotten; aber es handelt sich um die ureigenste Aufgabe eines Staatsoberhauptes.Theodor Heuss, der erste Bundespräsident, hat in der ersten Rede nach seiner Wahl 1949 davon gesprochen, daß dies Amt "den Sinn hat, über den Kämpfen die kommen, die nötig sind, die ein Stück des politischen Lebens darstellen, nun als ausgleichende Kraft vorhanden zu sein." Dieser Ausgleich kann durchaus selbst als Konflikt daherkommen.Richard von Weizsäcker etwa warf den Parteien vor, sie seien zugleich "machtversessen und machtvergessen".Bei den, zumal Regierungsparteien, kam das nicht eben gut an; aber es gab einer verbreiteten Verdrossenheit öffentliche Stimme - und integrierte, indem es das Ungleichgewicht zwischen wählender, aber machtloser Bürgermehrheit und alternativlos an die Macht gewählter Politikerminderheit ausglich.Andererseits riskierte er bewußt den Konflikt auch mit jenen konservativen Teilen von Bevölkerung und politischer Klasse, die keineswegs schon davon überzeugt waren, daß es die Niederlage im Krieg als Befreiung zu akzeptieren galt.

Vielleicht wird Roman Herzog, wenn er am Schreibtisch in seiner geräumigen Pensionärswohnung in Dachau oder dem standesgemäßen Präsident-a.D.-Büro in München hockt, einmal in seinen Memoiren offenbaren, ob er sich in dieser Tradition sieht.Ernst genommen, setzt die Ruck-Rede durchaus da an, wo Weizsäcker mit seiner Parteien-Schelte aufgehört hat - bloß daß der Adressat "die Gesellschaft" weniger konkret benannt wird als "die Parteien".Aber hat er mit seiner moderierten Kritik auch den Konflikt gesucht? Nicht mit den Bürgern, denen er Stimme gab.Am Ende womöglich aber, wider die eigene Absicht, mit einem Partner, dem er hatte nutzen wollen.

In der "Frankfurter Allgemeinen" sieht Eckhard Fuhr, Gerhard Schröder "in der rhetorischen Spur, die Herzog legte", gut vorangekommen: Vom Ruck zum Aufbruch, von der Unverkrampftheit zur Normalität."Herzog hat gesät, und Schröder hat geerntet.Eine hübsche Pointe wäre das schon: Helmut Kohls Kandidat ebnet seinem Bezwinger den Weg.Wer Roman Herzog da nicht mit einem unverkrampften, wenn schon nicht Lachen, dann wenigstens Schmunzeln verabschieden kann...Der passionierte Ironiker sollte in aller Bescheidenheit Sinn dafür haben.

THOMAS KRÖTER

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