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Politik: Der dritte vor dem zweiten Schritt

BÜRGERVERSICHERUNG

Von Tissy Bruns

Das schmeichelt dem Ohr: Bürgerversicherung. Da fühlt sich der Bürger gleich wieder etwas sicherer, der jetzt herumrechnet, wie die neuen Lasten Krankengeld, Zahnersatz, Arzt Eintrittsgeld auf die private Haushaltskasse wirken. Die Bürgerversicherung soll leisten, was Ulla Schmidt und Horst Seehofer nicht schaffen konnten: die Finanzierung der Gesundheitsversorgung auf eine neue Basis zu stellen.

Der Gedanke ist sympathisch, weil er auf der Hand liegt. Die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit hat uns gelehrt, wie problematisch es ist, das Mega-System Gesundheit auf das Beschäftigungsverhältnis zu stützen und es mit enormen Kosten zu belasten. Warum also nicht mindestens die Beamten, vielleicht die Selbstständigen, womöglich andere Einkünfte, wie Mieten und Zinsen, einbeziehen? Kaum ein Spitzenpolitiker, der in den letzten Wochen nicht damit geliebäugelt hätte. Zuletzt Joschka Fischer.

Die Debatte ist produktiv und gefährlich. Produktiv, weil sie unterstreicht, dass der Konsens dieser Woche nur begrenzte Reichweite hat. Er trägt drei oder vier Jahre, und er sollte die große Strukturfrage nach der Finanzbasis gar nicht anpacken. Die Diskussion hält, wenn man so will, den Reformdruck im Kessel. Unter diesem Gesichtspunkt ist sie aber auch gefährlich. Denn die Bürgerversicherung ist eine Projektionsfläche für Illusionen, und sie erdrückt eine andere große Strukturfrage. Das ist die, die Ulla Schmidt und Horst Seehofer zu zaghaft angefasst haben – die Frage nach mehr Wettbewerb zwischen denen, die das Geld ausgeben oder verdienen, das die Versicherten Monat für Monat aufbringen: zwischen Krankenkassen, Ärzten, Pharma-Unternehmen und Verbänden.

Das Gesundheitswesen ist teuer. Und wird es bleiben, auch wenn es gelingt, die Arbeitskosten zu entlasten. Die Pyramide mit dem soliden Unterbau junger, gesunder Versicherter und einer kleinen Altersspitze obendrauf wird am Ende dieses Jahrzehnts auf dem Kopf stehen. Die Versicherungsbeiträge nachhaltig auf niedrigem Niveau zu halten, ist deshalb nur ein Reformziel – es zielt außerdem mehr auf den Arbeitsmarkt als auf das Gesundheitswesen. Für das Gesundheitswesen hat der Konsens die erste richtige Lehre gezogen. Bürger, die über 80 oder 90 Jahre alt werden, müssen sich daran gewöhnen, dass die Gesundheit im privaten Budget als Kostenfaktor wächst. Deshalb ist die Medizin von Seehofer und Schmidt, die Bürger mehr zu belasten, bitter, aber angemessen.

Richtig wirksam kann sie allerdings erst werden, wenn die Bürger auch entscheiden können, wo und bei wem sie kaufen, was sie künftig selbst zahlen; wenn also die unangenehme Pflicht mit Wahlmöglichkeiten kombiniert wird. Das geht nur mit konkurrierenden Angeboten von Kassen, Krankenhäusern und allen anderen Anbietern medizinischer Leistungen. Kurzum: mit marktwirtschaftlichen Strukturen. Wie weit der Konsens dahinter zurückgeblieben ist, zeigt sich schon daran, dass kein Bürger ausrechnen, geschweige denn beeinflussen kann, wie es danach in seinem Portemonnaie aussieht. Denn dazu müsste er wissen, wo er Zusatzversicherungen günstig abschließen kann oder wie die Beiträge sich wirklich entwickeln.

Die Bürgerversicherung droht zum dritten vor dem zweiten Schritt bei der Gesundheitsreform zu werden – und damit zum falschen. Mehr Geld in die Kassen? Die Frage ist erst legitim, wenn die Bürger, die mehr zahlen, echten Einfluss nehmen können, wer im Gesundheitswesen wie viel wofür verdient. Und keine Frage: Nicht für jedes Pharma-Unternehmen wird es so viel bleiben wie zurzeit.

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