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Politik: Der Himmel über Nowokusnezk

Russland zehn Jahre nach dem Ende der Sowjetunion: Zu diesem Thema drucken wir in loser Folge eine Serie mit Alltagseindrücken. Das Foto von Gerd Ludwig, das die sibirische Stadt Nowokusnezk zeigt, haben wir mit freundlicher Genehmigung von "National Geographic" dem Bildband "Russland.

Russland zehn Jahre nach dem Ende der Sowjetunion: Zu diesem Thema drucken wir in loser Folge eine Serie mit Alltagseindrücken. Das Foto von Gerd Ludwig, das die sibirische Stadt Nowokusnezk zeigt, haben wir mit freundlicher Genehmigung von "National Geographic" dem Bildband "Russland. Eine Weltmacht im Wandel" entnommen.

Die Idee hauchte auf dem Müllhaufen der Geschichte ihr Leben aus, der giftige Atem ihrer Folgen wird den Russen noch lange hinterher hecheln. Den Wettbewerb der Systeme, den sowjetische Planer auf den Großbaustellen des Kommunismus zu ihren Gunsten entscheiden wollten, hat dem postkommunistischen Russland statt Wohlstand einen Spitzenplatz bei Umweltzerstörungen eingebracht. Ballungsgebiete der russischen Stahl- und Kohleindustrie halten seit Jahren die Spitze bei chronischen Erkrankungen der Atemwege. Auch die Anzahl der Krebs- und Herz-Kreislauf-Patienten liegt hier erheblich über dem Durchschnitt.

Billig und schnell sollte das Agrarland innerhalb eines Menschenalters zu einer Industrienation werden. Priorität hatten Sibirien und der hohe Norden mit unermesslichen Bodenschätzen. Gulag-Sträflinge trieben die Gleise bis weit in das Gebiet des Permafrostbodens vor, sie erschlossen die Kohlereviere von Nowokusnezk und Workuta. Was zählte, waren allein die Fördermenge und die Erfüllung der Planvorgaben. Ein Raubbau, der sich nun bitter rächt. Die hohen Subventionen für die Kohleförderung, die es in den Zeiten der Planwirtschaft in weiten Teilen Sibiriens gab, kann sich Russland heute nicht mehr leisten. Viele Zechen wurden als unrentabel eingestuft und mussten schließen. Für die Kohlekumpel, die zu kommunistischen Zeiten mit Polarzulage und Gehältern, die ein Mehrfaches über dem Unionsdurchschnitt lagen, in die Ödnis im Norden gelockt wurden, gibt es in den ausschließlich auf Kohleförderung getrimmten, künstlich angelegten Großstädten keine Alternative.

Schon Mitte der Neunziger versuchte Moskau daher die Rücksiedlung der Bergarbeiterfamilien in gemäßigte Breiten. Doch die Zuschüsse reichen für einen Ortswechsel nicht aus. Dazu kommt, dass anderswo niemand den Kumpeln eine Weiterbeschäftigung im alten Beruf garantieren kann. Daher fuhren Tausende nach Moskau und klopften wochenlang mit ihren Grubenhelmen auf das Pflaster vor dem Sitz der Regierung, um auf ihre Probleme aufmerksam zu machen. Vergeblich. Inzwischen haben viele aufgegeben und trösten sich in halb verödeten Siedlungen mit Selbstgebranntem über ihr Schicksal hinweg.

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