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In seinem Propagandavideo zeigt der IS, wie zwei Dschihadisten eine Kampfdrohne starten.

© Tsp

Der IS und die Drohnen: Die Luftwaffe der Terroristen

Die Terrormiliz "Islamischer Staat" nutzt Drohnen für Anschläge im Irak. Die Nachrichtendienste sind besorgt und rüsten sich gegen solche Attacken in Europa.

Von Frank Jansen

Das Video zeigt einen Selbstmordattentäter nach dem anderen, die Bilder sind mit dem monotonen Gesinge von Kampfliedern unterlegt. In Minute 33 tauchen dann zwei vermummte Kämpfer auf, sie laufen über einen staubigen Weg. Einer trägt eine bläulich-silbrige Drohne mit längeren Tragflächen. Der Dschihadist hebt den Flugapparat hoch, auf der Oberfläche sind Solarzellen zu sehen. Dann wirft der Mann die Drohne hoch, sie surrt hinweg. Die nächsten Bilder zeigen, was sie anrichtet.

Die Drohne fliegt über graubraune Häuser. Es sind Militärfahrzeuge zu sehen und mehrere Soldaten. Aus der Drohne fällt eine schmale Bombe hinab und explodiert zielgenau bei den im Video rot markierten Männern. Eine Rauchwolke steigt auf. Einige Soldaten liegen auf dem Boden, die anderen laufen weg. Der Singsang im Video geht weiter.

Seit Ende Januar kursiert der Propagandafilm der Terrormiliz „Islamischer Staat“ im Internet. Der IS glorifiziert seinen Kampf in Mossul, auch wenn nicht ganz klar ist, ob tatsächlich die irakische Metropole oder eine andere Stadt zu sehen ist. Minutenlang werden Luftangriffe mit Drohnen gezeigt, außerdem filmen die Kameras an den Fluggeräten die Todesfahrten von Selbstmordattentätern in präparierten Fahrzeugen. Die Dschihadisten demonstrieren, wozu sie mit ihrer unbemannten Luftwaffe in der Lage sind. Es sind Bilder, die den Sicherheitsbehörden des Westens Sorgen machen. Zumal es Erkenntnisse gibt, dass der IS in Syrien russische Militärdrohnen erbeutet hat.

Nachrichtendienste rechnen mit Drohnenattacken in Europa

„Was der IS im Kampf um Mossul oder sonst wo in Irak und Syrien ausprobiert, kann auch bald schon bei uns passieren“, sagt ein hochrangiger Sicherheitsexperte. Bisher hat die Terrormiliz noch keine Drohnen bei einem Anschlag im Westen eingesetzt. Aber das sei wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, heißt es. Erst recht, je stärker der IS in Syrien und Irak militärisch unter Druck gerate. Selbst wenn der IS nicht selbst aktiv werde, könne seine Propaganda Salafisten im Westen animieren, auf eigene Faust eine Drohne mit Sprengstoff zu beladen und in ein weiches Ziel zu steuern. Sei es ein Stadion, ein Open-Air-Konzert oder eine Fußgängerzone.

Polizei und Nachrichtendienste in Europa und den USA spielen schon länger Szenarien von Terrorattacken mit Drohnen durch. Die Gefahr ist allerdings tückisch. „Es ist relativ schwierig, im Ernstfall den Flug einer Drohne schnell zu unterbinden“, sagt ein Polizeiexperte. Außerdem sind Drohnen leicht zu beschaffen. Allein in Deutschland gibt es laut einer Studie der Allianz-Versicherung inzwischen 400 000 kommerziell und privat genutzte Drohnen. Und die Leistungsfähigkeit steigt. Einige Flugapparate tragen Zehn-Liter-Tanks. „Man kann sich unschwer vorstellen, was Terroristen in solchen Tanks transportieren können“, sagt ein Sicherheitsexperte. Von Sprengsätzen bis hin zu Giftstoffen sei alles denkbar. Aber es reiche schon, wenn eine Drohne über einer Menschenmenge eine gefärbte Flüssigkeit versprühe. „Dann gibt es eine Massenpanik mit tödlichen Folgen.“

Ist Deutschland gewappnet?

Offiziell sagen die Sicherheitsbehörden zur Gefahr terroristischer Angriffe mit Drohnen nicht viel – auch, um Panikstimmung zu vermeiden. „Die Palette der kriminellen Einsatzmöglichkeiten ist breit gefächert“, teilt das Bundeskriminalamt auf eine Anfrage des Tagesspiegels nüchtern mit. „Denkbare Szenarien, die mittels Drohnen ausgeführt werden können, reichen von Störungen von Veranstaltungen und allgemeinkriminellen Anwendungen über Ausspähungen bis hin zu möglichen terroristischen Anschlägen, zu denen auch Großveranstaltungen gehören können.“

Das BKA arbeite eng mit Partnerdienststellen im In- und Ausland zusammen, „um derartige Einsatzszenarien vorauszudenken und – noch viel wichtiger – uns darauf einzustellen und sie möglichst zu verhindern“. Dazu sei eine „zentrale Stelle“ eingerichtet worden, „die unter anderem Marktbeobachtung vornimmt und Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten koordiniert, um Erkenntnisse der Länder und des Bundes zur Detektion und Abwehr von Drohnen zu bündeln“. Mit Detektion ist das rechtzeitige Erkennen heranfliegender oder auch schon startender Drohnen gemeint. Aber ist Deutschland tatsächlich gegen die neuartige Terrorgefahr gewappnet?

G-7-Gipfel wurde schon gegen Drohnen geschützt

Zwei potenziell gefährdete Großveranstaltungen hat die Polizei bereits mit Hightech-Geräten für Detektion und Abwehr geschützt. Im Juni 2015 wurde beim G-7-Gipfel in Schloss Elmau in Oberbayern der Luftraum gegen Drohnenangriffe gesichert, im April 2016 beim militärischen Empfang von Bundeskanzlerin Angela Merkel für US-Präsident Barack Obama am Schloss Herrenhausen in Hannover. Die Polizei mietete die Technik beim bayerischen Unternehmen ESG und zwei weiteren Firmen.

Christian Jaeger, Programm-Manager für Detektion und Abwehr bei ESG, zählt auf: Eingesetzt worden seien etwa Geräte für Radar und Frequenzanalyse sowie „Jammer“. Das sind Störsender, die den Funkverkehr zwischen der Drohne und der sie steuernden Person lahmlegen. Damit alles funktionierte, hatte die Polizei in Elmau und Hannover Testdrohnen aufsteigen lassen. Sie kamen nicht weit.

Jaeger bezweifelt dennoch, dass die Bundesrepublik der von Terrordrohnen ausgehenden Gefahr angemessen vorbeugt. Seine Firma sei zwar im Gespräch mit Polizeibehörden, mit Flughäfen und den Fußballvereinen der ersten und zweiten Bundesliga. Doch die potenziellen Kunden zögerten. „Es herrscht die Mentalität: Erst muss etwas passieren, bevor wir Geld ausgeben“, sagt Jaeger.

2016 gab es 64 Vorfälle mit Drohnen

Die Technologie ist teuer. Ein Flughafen müsste angesichts seiner großen Fläche für den Kauf einer Anlage zu Detektion und Abwehr von Drohnen eine einstellige Millionensumme investieren. Dass das Geld gut angelegt sein könnte, zeigt eine Bilanz der Deutschen Flugsicherung. 2016 gab es 64 Vorfälle mit Drohnen, die startenden oder landenden Flugzeugen gefährlich nahe kamen. Im August wäre sogar ein Airbus A 321 mit 110 Menschen an Bord beinahe mit einer Drohne kollidiert, die in zehn Metern Entfernung vorbeiflog. „Man möchte sich nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn die Drohne eine Bombe getragen hätte“, sagt ein Sicherheitsexperte.

Dass Extremisten überlegen, wie sie aus der Luft ihre Feinde attackieren können, ist den Behörden schon länger bekannt. Der Einsatz von unbemannten Flugsystemen „findet im Bereich der politisch motivierten Kriminalität phänomenübergreifend vor allem als Trägersystem für Sprengsätze Interesse“, teilte Innenstaatssekretär Ole Schröder (CDU) im Mai 2016 der Grünenfraktion mit. „Bereits im Jahr 2011 wurden der Bau von Modellflugzeugen und die Nutzung von Drohnen in einschlägigen islamistischen Foren thematisiert.“ Schröder verwies auch auf Ermittlungen gegen Neonazis in Baden-Württemberg. Die Gruppe hatte 2013 geplant, mit einer fliegenden Bombe ein Sommercamp von Linken anzugreifen.

Der IS ist längst weiter. Im Internet verkündet eine Medienagentur, die als Sprachrohr für die Terrormiliz auftritt, der IS habe mit Drohnen allein Anfang Februar 79 Feinde getötet oder verletzt und 27 Armeefahrzeuge zerstört. Deutsche Sicherheitskreise vermuten, dass die Propaganda übertreibt. „Die Zahlen dürften zu hoch sein“, sagt ein Experte, „aber dass die Drohnen Opfer fordern, ist kaum zu bezweifeln.“ ESG-Manager Christian Jaeger spricht von einer „neuen Qualität“. Es sei offensichtlich, dass beim IS „viel Ahnung dahintersteckt“. Und: „Wir laufen Gefahr, dass das exportiert wird in die Länder des Westens.“

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