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Politik: Der Kanzler vor der Wahl

Am heutigen Sonntag droht der SPD ein Debakel – Schröder sieht einer Debatte über seine Zukunft entgegen

Von Hans Monath

Stellen wir uns vor, Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement wäre Bundeskanzler. Einen Vorteil brächte ein solcher Wechsel dem Land in schwieriger internationaler Lage: Es ist nicht bekannt, dass Clement den Charakter von George W. Bush öffentlich in Zweifel gezogen hat. Vielleicht würde er im Gegensatz zum amtierenden deutschen Regierungschef deshalb sogar in Washington empfangen. Aber hätte der heutige Superminister das Zeug dazu, eine wirksamere Irak-Politik zu formulieren, ohne dass die Koalition daran zerbrechen würde? Und könnte der reformorientierte Sozialdemokrat die Partei auf seinem Kurs der Zumutungen mitnehmen?

Die Frage nach Wolfgang Clement ist nicht akademisch. Seitdem die Sozialdemokraten innerlich die Hoffnung aufgegeben haben, sie könnten das drohende Desaster in Hessen und Niedersachsen abwenden, wird in der Berliner Koalition viel und eifrig spekuliert über den Tag danach: Kann es dieser Bundeskanzler noch? Gerhard Schröder hat seine Partei damit gequält, dass der Sieg bei der Wahl am 21. September vorigen Jahres sein Sieg gewesen sei. Ein Ergebnis der Popularität des Amtsinhabers. Nun wird ihn seine Partei umgekehrt damit quälen, dass die Niederlagen von Hannover und Wiesbaden seine Niederlagen waren – und damit wird sie Recht haben.

In der Kanzler-Heimat Niedersachsen deuten alle Vorzeichen auf eine vernichtende Abwahl des zuletzt allein regierenden Schröder-Nachfolgers Sigmar Gabriel hin – und damit auf das Ende einer 13-jährigen SPD-Herrschaft. Die Sozialdemokraten stürzen nach jüngsten Umfragen von 48 Prozent möglicherweise um 15 Punkte auf 33 Prozent. Für die CDU und ihren Spitzenkandidaten Christian Wulff – der immerhin schon zum dritten Mal Anlauf nimmt, Ministerpräsident zu werden, also nicht unbedingt als frisches Gesicht zu gelten hat – rückt sogar eine absolute Mehrheit in den Bereich des Möglichen. Wulff und die Seinen lagen in den Umfragen zuletzt stabil bei 49 Prozent.

Die niedersächsischen Grünen, die sich lange Hoffnung auf eine Regierungsbeteiligung gemacht hatten, können ihr Potenzial wahrscheinlich ausschöpfen und ihr Sieben-Prozent-Ergebnis von 1998 voraussichtlich steigern. Noch nicht gesichert ist dagegen der Sprung der FDP über die Fünf-Prozent-Hürde, an der die Liberalen vor fünf Jahren knapp gescheitert waren. Sollten sie das nicht schaffen, wäre eine Alleinregierung der CDU noch wahrscheinlicher.

Auch in Hessen droht dem Kanzler eine „Denkzettelwahl". Zwar spielen für die Bürger in der Region zwischen Kassel und Darmstadt landespolitische Motive bei der Wahl eine größere Rolle als im angrenzenden Niedersachsen. Doch auch hier scheint der Wunsch verbreitet, der Unzufriedenheit mit der Berliner Regierungsarbeit Ausdruck zu verleihen und dafür stellvertretend die Kanzlerpartei abzustrafen. Zudem ist eine wachsende Mehrheit mit der Arbeit von Roland Kochs schwarz-gelbem Kabinett zufrieden – bis zu 51 Prozent wollen nach den Umfragen Koch und die CDU wählen.

So erdrückend ist die Übermacht, dass der Ministerpräsident aus Angst vor einer Demobilisierung der eigenen Truppen die Unions-Anhänger im Wahlkampf schon vor zu großer Siegeszuversicht warnte. Auch in Hessen ist noch unklar, wie die Liberalen abschneiden. Koch hat seinen Partnern allerdings schon angeboten, sie könnten auch dann in der Regierung bleiben, wenn seine eigene Partei die absolute Mehrheit gewinnen würde. Die Freien Demokraten haben das freilich postwendend zurückgewiesen. Sollte Koch alleine regieren können, dann solle er das tun.

Die Kanzlerdebatte gibt es in den Reihen von Rot-Grün (und bei der Opposition natürlich erst recht). Doch wird aus ihr nach den Wahlen auch eine Kanzlerdämmerung? Wenn die Sozialdemokraten die Schuld bei Gerhard Schröder abgeladen haben, werden sie sich die Alternativen zum Kanzler ansehen. Viele sind es nicht. Wer begeistert sich innerhalb und außerhalb des SPD-Präsidiums für Bundesfinanzminister Hans Eichel, dessen Popularität als Sparmeister neuerdings zurückgegangen ist? Welche linken Sehnsüchte erfüllt Wolfgang Clement? Es ist keine Empfehlung, wenn der Superminister das eigene Lager gerade wieder mit dem Kündigungsschutz traktiert und ausgerechnet mit dem nicht gerade als Gewerkschaftsfreund bekannten Unions-Fraktionsvize Friedrich Merz Gemeinsamkeit demonstriert. Eine große Koalition hat bei den Sozialdemokraten wenig Anhänger. Und was bringt der SPD ein härterer Reformer als Schröder, dem dessen Leutseligkeit abgeht?

Schröders Umgebung verbreitet, der Chef werde den versprochenen Reformkurs nach einer Niederlage sogar noch forcieren. Denn der Kanzler hat nun so wenig Alternativen wie seine Partei.

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