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Politik: Der Krieg in Tschetschenien führt zu chemischer und atomarer Verseuchung

Die Kämpfe in Tschetschenien machen seit Wochen weltweit Schlagzeilen. Am Donnerstag berichtete der russische Fernsehsender RTR, dass die russischen Streitkräfte die seit Tagen erbittert umkämpften Orte Zentora-Jurt und Alleroi bei Gudermes im Osten des Landes eingenommen hätten.

Die Kämpfe in Tschetschenien machen seit Wochen weltweit Schlagzeilen. Am Donnerstag berichtete der russische Fernsehsender RTR, dass die russischen Streitkräfte die seit Tagen erbittert umkämpften Orte Zentora-Jurt und Alleroi bei Gudermes im Osten des Landes eingenommen hätten. Bislang hat sich allerdings niemand die Mühe gemacht, über die ökologischen Folgen des Krieges nachzudenken. Dabei sind, wie der Vorsitzende des Kaukasischen ökologischen Rates, Ramsan Goitemirow, meint, "beide Seiten dabei, in Tschetschenien eine Umweltkatastrophe heraufzubeschwören."

Bereits im Oktober meldete das "Rosinformzentr", die Pressestelle des russischen Außenministeriums, die tschetschenische Hauptstadt Grosny drohe in einem Ölsumpf zu versinken. In das inzwischen über 30 Quadratkilometer große Areal haben etwa 15 000 illegale Raffinerien der Tschetschenen neun Jahre lang die Rückstände abfließen lassen, die bei der Diesel- und Benzinherstellung anfallen. Wenn nicht Sofortmaßnahmen ergriffen werden, heißt es auch in einer Erklärung des russischen Verteidigungsministeriums, würde sich das Gebiet um Grosny in spätestens zwei Jahren unbewohnbar sein.

Tschetschenische Umweltschützer behaupten allerdings, dass die Hauptgefahr für die Umwelt von Moskau ausgehe. Schon jetzt, so Goitemirow, seien größere Mengen giftiger Chemikalien aus Lagern, die durch Bomben und Artillerie zerstört wurden, in den Boden abgesickert. Unter anderem Tetrachlor, das in seiner Giftigkeit in etwa dem Wirkungsgrad von Chemiewaffen entspricht. Mehrere Tonnen davon wurden im Materialdepot des zentralen Wasserwerkes von Grosny aufbewahrt, das durch die Flächenbombardments zu 80 Prozent zerstört wurde. Ein Teil des Giftes sei bereits in die Sundscha geflossen, einen Nebenfluss des Terek, der in das Kaspische Meer mündet - den größten Binnensee der Welt. Experten bangen seit Jahren um die Naturschutzgebiete in den Uferzonen und die dort lebenden Störe und Kaspi-Robben. Deren Fortbestand ist angesichts der chemischen Belastung der Wolga, die in das abflusslose Gewässer mündet, extrem gefährdet. Durch den tschetschenischen Giftmüll könnte der See endgültig zu Kloake werden.

Einen Volltreffer landeten die Russen auch auf das Lager eines Chemiebetriebes, wo mehrere Tonnen des Pflanzengiftes D-24 gelagert wurden. Dabei handelt es sich um eine dioxinhaltige Substanz, die in ihrer Zusammensetzung dem Gift entspricht, das die Amis in Vietnam zur Entlaubung des Dschungels versprühten. Restbestände des Giftes, die bis zum Ende des Vietnamkriegs auch in der Sowjetunion als Pestizid zur Anwendung kam, wurden Ende der Siebziger ausgerechnet nach Tschetschenien ausgelagert und sickern nach den Bombenschlägen in Boden und Grundwasser. Experten befürchten eine flächendeckende Vergiftung.

Bei den Angriffen wurde auch eine Zisterne mit über 600 Tonnen hoch konzentrierter Schwefelsäure zerstört. Der Behälter stand auf dem Gelände einer zerbombten Erdölraffinerie. Drohungen islamischer Extremisten, Chemiewaffen einzusetzen, schreibt die Wochenzeitung "Moskowskije nowosti", könnten sich damit von allein erfüllen.

Die größte Gefahren geht jedoch von radioaktiven Abfällen aus, die in den 80er Jahre ebenfalls nach Tschetschenien gebracht wurden. In der Republik - knapp so groß wie das Bundesland Baden-Württemberg - gibt es immerhin ein Endlager und zwei Zwischenlager für strahlenden Müll. Eines davon gehört zu einem Chemiebetrieb in Grosny und ein weiteres zu einem Werk, wo bis 1991 das Edelgas Radon hergestellt wurde. Das Radon-Werk steht am rechten Terek-Ufer, wo gegenwärtig die Front verläuft. Wird das Lager getroffen, droht dem gesamten Kaukasus atomare Verseuchung.

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