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Politik: Der Krieg kommt nach Moskau

Wieder wollte sich in Russlands Hauptstadt eine Frau in die Luft sprengen. Die Regierung möchte nun mit „unkonventionellen Methoden“ gegen Terroristen kämpfen

Nicht einmal der Schutzanzug konnte Major Georgi Trofimow das Leben retten: Bis zu zwei Kilo Sprengstoff des Typs PWW – eine Substanz, die eigentlich nur die Armee einsetzt – enthielt die Granate, die eine Selbstmordattentäterin in der Nacht zum Donnerstag in einem Restaurant der Moskauer Innenstadt zünden wollte. Als der Sprengstoffexperte sich daran machte, sie zu entschärfen, explodierte sie. Dem Restaurantbesitzer war zuvor eine offenbar unter Drogen stehende Frau „mit kaukasischem Äußeren“ aufgefallen. Inzwischen bestätigte das Innenministerium: Es handelte sich um eine 22-jährige Tschetschenin. Der Gastwirt alarmierte die Miliz und konnte so eine weitere Katastrophe verhindern – im Rucksack der Verdächtigen fand die Polizei die Bombe.

Am vorigen Samstag hatten sich in Moskau zwei Frauen am Eingang eines Open-Air-Konzerts in die Luft gesprengt und 13 Menschen mit in den Tod gerissen. Bei einer fand die Polizei einen tschetschenischen Pass.

Innenminister Boris Gryslow kündigte an, den Terror „in nie da gewesenem Ausmaß und mit neuen, unkonventionellen Methoden“ zu bekämpfen. Die Betreiber privater Telefonnetze mussten ihre Kanäle am Mittwoch für zwölf Stunden mit den Abhörzentralen der Geheimdienste koppeln. Der Erfolg der Operation „großes Ohr“ hielt sich bisher jedoch in Grenzen: Sobald die Netzbetreiber die internen Mitlausch-Sperren aufheben, blinkt auf dem Handy-Display ein offenes Vorhängeschloss oder ein Ausrufezeichen. „Wer durch die Sonderzeichen nicht alarmiert wird, ist entweder blind oder blöd“, schrieb die Zeitung „Nesawissimaja Gaseta“.

Ganz nebenbei gaben die Provider nun zu, die Sperren seien „auf Anordnung von oben“ bereits zweimal aufgehoben worden: während des Geiseldramas im Oktober in Moskau und Ende Mai bei den Feierlichkeiten zum 300. Stadtjubiläum von St. Petersburg. Innenminister Gryslow fordert auch einschneidende Änderungen der Strafprozessordnung. Terrorverdächtige etwa sollen künftig für 30 Tage ohne Anklage und Gerichtsbeschluss festgenommen werden können. Bisher waren es zehn.

Prominente Juristen und Bürgerrechtler reagierten entsetzt auf die Äußerungen Gryslows und sprachen von Verfassungsbruch. Die Ermittler, so der Menschenrechtler und Duma-Abgeordnete Sergej Kowaljow, hätten schon jetzt sehr weit reichende Kompetenzen. Sollte die Duma, wie Gryslow verlangt, die Neuerungen nach der Sommerpause tatsächlich verabschieden, würde „der Willkür Tür und Tor geöffnet“.

Der Europarat warf Russland schwerste Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien vor. Der Rückgriff auf „Folter und andere Formen der Misshandlung“ durch russische Soldaten sei dort gängige Praxis.

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