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Irak-Krieg

© AFP

BND-Untersuchungsausschuss: Der Krieg um den Krieg

Im Irak tobten Kämpfe – aber Deutschland hatte Nein dazu gesagt. Jedenfalls ein bisschen. Denn Agenten des BND waren dennoch dabei, damals in Bagdad und im Kriegshauptquartier der Us-Amerikaner. Nun untersucht ein Ausschuss: Was hatten sie da zu suchen? Wem haben sie Informationen gegeben? Szenen einer heiklen Mission.

Von Hans Monath

Gerade einmal drei Stunden sind seit dem Einschlag der amerikanischen Bomben vergangen, als die deutschen Agenten Rainer M. und Volker H. ihren Bericht aus Bagdad absetzen. "Von 11:40–11:45 waren starke Bombardierungen zu hören und zu spüren, das Haus hat gewackelt“, schreiben die beiden Soldaten im Dienst des Bundesnachrichtendienstes (BND) am 30. März 2003 verschlüsselt an ihre Zentrale in Pullach.

Nur eine Viertelstunde nach dem Ende des Luftangriffes machen sich die beiden Deutschen mit ihrem gepanzerten Geländewagen auf zu einer Erkundungsfahrt. In zehn Punkten schildern sie danach ihre Eindrücke von der Funktionsfähigkeit des Bagdader Telefonnetzes, berichten von Nachfragen eines irakischen Geheimdienstmitarbeiters, von geschlossenen Geschäften und militärischen Details: "Der gemeldete Ausweichgefechtsstand in den Häusern hinter der DEU (deutschen, d. Red.) Botschaft ist anscheinend verlegt worden.“ Der Bericht endet mit der Formel "Viele Grüße aus Bagdad, R.M. und V.H.“

BND agierte von französischer Botschaft aus

Seit zehn Tagen tobt da bereits der Krieg der "Koalition der Willigen“ gegen Saddam Hussein und seine Helfer. Seit dem 20. März bombardieren US-Kampfflugzeuge strategische Ziele in Bagdad, mehr als 3000 satellitengesteuerte Bomben schlugen allein in den ersten 48 Stunden ein. Mittendrin verstecken sich die beiden Freiwilligen des "Sondereinsatzteams“ (SET) in der französischen Botschaft. Sie sammeln unter Lebensgefahr Informationen für die damalige rot-grüne Regierung, die sie auf ihre Mission geschickt hat.

Sie beschreiben "Non targets“ mit Koordinaten, also Ziele, die nach dem Völkerrecht nicht angegriffen werden dürfen (so etwa schon am 11. März mehrere Botschaften, darunter: "Algerien: 33 Grad 19 Minuten 10,3 Sekunden Nord/ 044 Grad 20 Minuten 04,0 Sekunden Ost“), die Versorgungslage und Stimmung der Bevölkerung ("Die Masse der Geschäfte hat weiterhin geschlossen, einige alte Männer sitzen mit ihren Wasserpfeifen auf den Bürgersteigen und Kinder spielen in den Seitenstraßen Fußball“), aber auch mögliche Lagerstätten von chemischen oder biologischen Waffen und militärische Details über die irakischen Verteidiger: "Stellung RG (Republikanische Garde, d. Red.) auf 33 Grad, 18 Min. 02 Sek. Nord; 044 Grad, 23 Minuten 28 Sek. Ost.“

Abteilungsleiter in Pullach war politischer Filter

Mehr als fünf Jahre später beschäftigt das Tun der Agenten nun den BND-Untersuchungsausschuss des Bundestages und provoziert politischen Streit. Dort geht es nur am Rande um neue Fakten, im Kern aber um den Vorwurf, wonach die rot-grüne Regierung und ihr damaliger Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier zwar den Frieden predigten, in Wirklichkeit aber willig mitbombten. So sagt es die Opposition, und es gibt keinerlei Hinweis darauf, dass irgendeine Aussage vor dem Gremium sie von dieser Überzeugung abbringen wird.

Bisher wurden in nichtöffentlicher Sitzung nur die beiden SET-Agenten gehört und noch keine der damals handelnden Politiker. Für die Frage, welche Informationen tatsächlich an die Amerikaner gingen, ist der Zeuge wichtig, der neben anderen am heutigen Donnerstag vor das Gremium geladen ist: der Leiter der BND-Abteilung 38b ("Militärische Auswertung“) in Pullach. Ihm war damals die Rolle eines politischen Filters zugedacht. Er sollte aus den rund 130 SET-Berichten nur jene Informationen an die Amerikaner weiterleiten, die eben nicht geeignet waren, ihren Angriffskrieg zu unterstützen.

Beamter war im Centcom des Pentagons stationiert

Kurz vor dem Krieg lechzt die rot-grüne Regierung nach eigenen Informationen aus dem Irak. Die Beziehungen zur Regierung Bush sind vereist, Hilfe von US-Diensten in strittigen Fragen nicht zu erwarten. Was ist, wenn die USA nach einem Einmarsch in den Irak von Massenvernichtungswaffen berichten? Ein eigenes Urteil ist Berlin wichtig. Das Kanzleramt unter seinem damaligen Chef Steinmeier befürwortet die gefährliche Mission der BND-Agenten in Bagdad.

Schon um deren Überleben im Bombenkrieg und eine Rettung im Notfall zu ermöglichen, ist der deutsche Auslandsgeheimdienst auf enge Kontakte zu den Amerikanern angewiesen. Rausholen kann sie im Zweifelsfall nur das US-Militär. Schließlich willigt die amerikanische Seite sogar ein, dass ein BND-Mitarbeiter (Deckname "Gardist“) im Hauptquartier in Katar ("Centcom“) zugelassen wird. Er soll die laut Bundesregierung gefilterten und durch Zeitverzug für Militärschläge unbrauchbar gemachten Informationen aus Bagdad weitergeben, die in seinem Postkasten landen.

Allerdings ist den Planern des Einsatzes früh klar, dass die Amerikaner Gegenleistungen erwarten. Doch gibt es in den Akten und Aussagen keinen Hinweis, dass politisch ein Doppelspiel geplant ist nach dem Motto "Hier Friedensrhetorik, da Bombenhilfe.“ Im Gegenteil: Der damalige BND-Chef August Hanning, heute Innenstaatssekretär, gibt die Weisung, nicht aktiv zum US-Krieg beizutragen.

Agenten ziehen Waffen, töten Plünderer jedoch nicht

Wie die Akten des Ausschusses zeigen, gilt das strenge deutsche Beamtenrecht auch für Menschen, die sich für ihr Land in akute Lebensgefahr begeben und dafür später von den USA und nicht von ihrer eigenen Regierung für einen Orden ausgezeichnet werden. So stellen die BND-Mitarbeiter eine Liste mit Anschaffungspreisen für den Fall zusammen, dass die Wohnung des längst mit seiner Frau ausgereisten BND-Residenten in Bagdad zerstört wird, in der sie vor ihrem Umzug in die französische Botschaft leben. Ein "Rowenta Bügeleisen“ im Wert von 45 Euro findet sich auf der Liste ebenso wie "2 Loden-Frey Anzuege“ (150 Euro) oder "2 Gymnastikbälle“ (40 Euro).

Der psychische Druck, unter dem die Männer stehen, entlädt sich immer wieder in sarkastischen Bemerkungen. Als sie am 8. April aufgefordert werden, Saddam Hussein zu suchen, lehnen sie dies ab. Am nächsten Morgen schreiben sie, das Erscheinen ihres auffälligen schwarzen Geländewagens mit Diplomatennummer habe "zum sofortigen Verlassen durch Saddam“ geführt und "zu ebenso sofortiger Erschießung unsererseits. Wir sind uns nur über die Reihenfolge unklar.“ Von Journalisten halten sich die Agenten fern ("Die meiden wir, wenn es geht, wie der Teufel das Weihwasser“). Im Notfall, so überlegen sie, wollen sie auch Medienvertreter mit herausholen lassen. Begründung: "Was passiert, wenn wir die zurücklassen, einer oder mehrere überleben und das publik machen, überlasse ich Ihrer Phantasie.“

Allerdings verwischt das Leben in der Ausnahmesituation offenbar nicht die eigenen Maßstäbe. Zur Eigensicherung haben sich die Deutschen auf dem Schwarzmarkt mit Kalaschnikows und Pistolen eingedeckt. Doch einsetzen wollen sie die Waffen nicht, als es darum geht, die Deutsche Botschaft vor der Plünderung zu bewahren. "Selbst wenn man mit gezogener Waffe auf die Personen zuging, ließen sie nicht von ihrem Tun ab“, heißt es im Bericht vom 10. April: "Sie standen vor einem und sagten einem ,erschieß mich doch für diesen Monitor’.“ Da lassen die beiden Offiziere die Plünderung lieber geschehen.

Deutsche Beteiligung am Krieg wird zur Glaubensfrage

Fünf Jahre später wird wieder gekämpft – diesmal um Deutungen. "Centcom ist ein Kriegshauptquartier“, meldet der BND-Verbindungsmann in Katar einmal an die SET-Leute in Bagdad. Auf eine Anfrage zu Standorten würden in der Regel „konkrete Operationen“ folgen. Deshalb seien mit 24 Stunden Verspätung eingehende Antworten "nicht unbedingt brauchbar“. Die Opposition sieht darin einen Beweis dafür, dass sich Rot-Grün doch am Krieg beteiligte, für die Sozialdemokraten im Ausschuss hingegen ist es ein Beleg für die Wertlosigkeit der deutschen Meldungen nach Katar.

Weil die wahre Antwort nur US-Stellen wissen, wird es eine Glaubensfrage bleiben, ob Rot-Grün anders handelte als verkündet. Dabei ist es auffällig, dass Koordinaten zu "Non targets“ aus Bagdad auf Zehntelsekunden genau gemeldet werden, solche zu militärischen Einheiten nur mit Sekundenangaben. Das mindert ihren Wert für die Zielplanung.

Polit-Poker - Parteien blicken auf die Bundestagswahl

Ein bisschen erinnert das Verhalten der Opposition im BND-Untersuchungsausschuss auch an Edgar Allan Poes Erzählung "Der entwendete Brief“. Darin wird ein von der Polizei dringend gesuchter Umschlag nur deshalb nicht gefunden, weil er vor aller Augen offen auf dem Schreibtisch liegt. Die Überzeugung, dass es da etwas Verborgenes geben muss, ist so stark geworden, dass Banaleres gar nicht mehr interessiert.

So sind nun aus den Akten und Zeugenaussagen des Ausschusses zwar einige neue Details bekannt geworden, die von etlichen Medien als Neuigkeiten oder endgültiger Beweis für die Doppelzüngigkeit rot-grüner Friedenspolitik präsentiert wurden. Doch den Kern des Geschehens mit vielen Einzelheiten schildert schon der leicht zugängliche Regierungsbericht von Anfang 2006.

Auf Seite 22 des offenen Berichts heißt es schon damals klipp und klar, sieben SET-Berichte mit Koordinaten seien an die Amerikaner übermittelt worden, darunter "eine Meldung mit vier Koordinatenangaben zu Kräften der SRG und RG (LKW, Tank-LKW, Pick-Ups mit sMG auf den Ladeflächen und Soldaten in Stellungsgräben)“. Die Kürzel "SRG“ und "RG“ stehen für Spezial-Republikanische Garden und Republikanische Garden, das Kürzel "sMG“ für ein schweres Maschinengewehr. Der Bericht versichert, die mit Zeitverzögerung übermittelten Koordinaten seien als Ziele weder für den US-Luftkrieg noch für US-Bodentruppen interessant gewesen, die damals noch nicht bis Bagdad vorgedrungen waren. Ein Vergleich von Satellitenbildern ergab demnach "keine Anzeichen dafür, dass Ziele an diesen Koordinaten bekämpft worden waren“.

Steinmeier wird voraussichtlich Ende des Jahres vor dem Gremium aussagen. "Dreimal ist von den öffentlich erhobenen Vorwürfen nichts übrig geblieben“, meinte er kürzlich. Tatsächlich hat die Popularität des Sozialdemokraten weder unter den Vorwürfen zu CIA-Flügen, zum Fall el Masri oder zum Fall Murat Kurnaz gelitten. Doch diesmal scheinen die Jäger zäher zu sein. Geht es doch inzwischen darum, einen Kanzlerkandidaten zu stellen.

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