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Politik: Der lange Weg in die neue Zeit

Tunesiens Übergangsregierung zerfällt – die Protestbewegung traut ihrem Reformwillen nicht

Auch Wochen nach dem Sturz des Diktators Zine el Abidine Ben Ali ist der Weg Tunesiens in eine demokratische Zukunft noch mit vielen Hindernissen gepflastert: Die Übergangsregierung kämpft um ihr Überleben. Demonstranten, die immer noch in der Hauptstadt Tunis auf die Straße gehen, bezweifeln deren Reformwillen. Und die Opposition warnt vor einem Machtvakuum, ja sogar vor der „Gefahr eines Staatsstreiches“.

Gleich fünf tunesische Kabinettsmitglieder warfen in den letzten Tagen das Handtuch. Zuletzt zogen sich auch zwei politische Schwergewichte der Opposition aus der Übergangsführung zurück: Nejib Chebbi, bisher Minister für regionale Entwicklung, und Bildungsminister Ahmed Ibrahim. Zuvor hatten drei Vertreter der alten Ben-Ali-Garde den nicht endenden Straßenprotesten nachgegeben und den Rückzug angetreten: Ministerpräsident Mohamed Ghannouchi und zwei seiner Minister.

Doch auch das beruhigte die landesweite Protestbewegung nicht, die sich in einem „Rat zum Schutz der Revolution“ organisiert hat. Die Opposition fordert nun den Kopf von Interimspräsident Mebazaa (77), der ebenfalls schon Ben Ali diente. Der von Mebazaa eigenmächtig ernannte neue Regierungschef Beyi Caid Essebsi fiel ebenfalls umgehend in Ungnade. Ein 84-jähriger Politikveteran, der nicht gerade als Repräsentant von Tunesiens Revolutionsbewegung gilt, die vor allem von der breiten jüngeren Generation des Landes getragen wurde. „Die nächste Kabinettssitzung wird im Altersheim stattfinden“, lästern Oppositionelle.

„Diese Regierung“, befindet der Menschenrechtler und Anwalt Ziad Cherni, „entspricht nicht den Wünschen der Revolution“. Die tunesische Bevölkerung, rund elf Millionen Menschen, „ist klug genug zu wissen“, dass Essebsis Berufung keine wirkliche Änderung bringe: „Sie haben den Kopf ausgewechselt, aber nicht das Regime“. Die Revolution könne immer noch durch Intrigen der alten Garde „gekidnappt“ werden, heißt es.

Wie es nun in Tunesien weitergeht, steht derzeit ziemlich in den Sternen. Im Sommer, so ließ Präsident Mebazaa durchblicken, könnte gewählt werden – soweit bis dahin die Voraussetzungen für die versprochenen „freien und demokratischen Wahlen“ geschaffen wurden. Aber noch ist Tunesien, das Land, in dem der „arabische Frühling“ seinen Anfang nahm, von Sicherheit und Stabilität weit entfernt.

Ben Alis Anhänger versuchen weiter, mit Gewalt und Plünderungen im ganzen Land Ängste und Unruhen zu schüren. Die Übergangsregierung scheint bisher weder arbeitsfähig noch wird sie von den Bürgern anerkannt. Tunesiens Generäle, die sich schließlich gegen Ben Ali gestellt und auf die Seite des Volkes geschlagen hatten, kochen im Hintergrund ebenfalls ihr Süppchen und werden ihre Interessen hüten wollen.

Immerhin wird die gerade erfolgte Zulassung der Islamistenpartei Ennahda, bis zu ihrer Verbannung durch Ben Ali vor über 20 Jahren stärkste Oppositionspartei, als Fortschritt auf dem Weg zur Demokratie gewertet. Scheich Rachid Ghannouchi, der aus dem Londoner Exil in seine Heimat zurückkehrte und nicht mit dem nun zurückgetretenen Regierungschef Ghannouchi verwandt ist, hatte durchblicken lassen, dass auch seine Bewegung an einer Übergangsführung beteiligt sein sollte.

„Die Regierung Ben Alis ist gegangen, die Regierung des Volkes muss sie ersetzen“, sagt Ghannouchi. Da man bei künftigen Parlamentswahlen mit Ennahda als politischer Kraft rechnen muss, bemüht sich Scheich Ghannouchi schon einmal, Sorgen über eine islamistische Gefahr zu zerstreuen: Ennahda sei „keine militante Bedrohung“ und liege in vielen Dingen auf der Linie der türkischen Regierungspartei AKP.

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