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Politik: Der letzte Glaubenskrieg

Von Andrea Dernbach

Heute beim, ach, „Krippengipfel“ wird gerechnet. Das ist nichts Schlechtes. Außer dass Zahlen manchmal die unangenehme Eigenschaft haben, den Blick aufs Wesentliche zu verstellen. Im Wesentlichen geht es nämlich im Hause der Ministerin von der Leyen darum, ob Deutschland ein modernes Land wird. Und ob Kinder und die Freude an ihnen darin einen Platz haben dürfen.

Manchen scheint das ein Paradox: Kleinkinder in die Krabbelstube und ab ins Büro – was hat man und frau dann noch von ihnen? Zementiert Leyen die Verhältnisse nicht nur? In diesem Punkt hat die kuriose Koalition des Ehepaars Lafontaine mit Bischof Mixa sogar Recht: Eigentlich sollte es darum gehen, hierzulande ein Modell des Berufstätigen, sogar der Führungskraft, zu etablieren, die sich auch einmal zurückziehen darf, die Zeit hat, mit den Kindern zu spielen oder an ihrem Krankenbett vorzulesen, ohne jederzeit an den Computer zurückbeordert oder mit Karrierechancenlosigkeit bestraft zu werden. Das ist kein schöner Traum, das wäre mit etwas Mut zum Ungewohnten leicht zu machen – und die Betriebsergebnisse der Unternehmen würden ganz sicher besser dabei.

Aber es geht ja um mehr beim Ausbau der Krippen. Auch wer nicht berufstätig sein will oder muss, braucht Entlastung. Barbara Sichtermann, die das womöglich intellektuellste und zugleich lebenspraktischste Buch in deutscher Sprache über das Leben kleiner Menschen mit den Großen verfasst hat, schreibt, das Belastende der Mutterrolle liege im Prinzip „ständig“. Recht hat sie – ein Kleinkind 24 Stunden lang, und sei es noch so geliebt, das schafft auf Dauer jeden Erwachsenen. Wer’s nicht glaubt und lieber den Umfragen vertraut, nach denen fremdbetreute schwedische Kinder später alkoholabhängig und in den USA in der Schule die größeren Störenfriede – na und? – werden, der soll einfach einmal durch deutsche Straßen gehen und sich gerade die Mütter ansehen, deren Rollenbild noch im traditionellen Sinne intakt zu sein scheint: Es schaudert einen manchmal, wenn sie, total überlastet, respekt- und lieblos die Kinder traktieren, die der Theorie nach doch ihr Ein und Alles sind. Familie ist Sehnsuchtsort. Aber Hölle kann sie auch sein. Und darüber lehrt der ganz banale Alltag mehr als jede Polizeistatistik über Kindstötungen.

Und dann die Väter: Inzwischen hat die Demoskopie herausgefunden, dass es die Männer sind, die meist keine Kinder wollen. Was sie bewegt, ist noch zu wenig erforscht. Aber könnte es nicht sein, dass sie berechtigte Angst haben vor all dem, was Vatersein unnötigerweise bedeutet? Probleme mit dem Chef, wenn man Elternzeit will, noch immer kaum Rechte im Scheidungsfall und eine Existenz als stummer Zahlvater auf Jahrzehnte, weil ja „die Frau zum Kind gehört“, nicht der Vater? Als Alternative das, was Frauen schon lange trainieren müssen: Ein Spagat zwischen Kinderzimmer und Firma, für den nicht jeder gelenkig genug ist. Und es auch nicht sein müssen sollte.

Beenden wir also Deutschlands letzten Glaubenskrieg, den um die Familie. Gerade wir in der mittleren Generation sind die Kinder jener Frauen, die schon ahnten, wie wichtig Beruf und eigenes Einkommen sind, die aber vom Rollendiktat der Adenauer-Ära gnadenlos in die alten Rollen gedrückt wurden. Und vielleicht haben wir mit und unter diesen Eltern gelitten, die nicht die sein durften, die sie gern sein wollten: Mütter, aber auch im Beruf, berufstätige Männer, aber auch Väter. Machen wir’s endlich besser. Für die Enkel dieser Eltern. Unsere Kinder.

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