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Politik: Der richtige Weg zur falschen Zeit

Von Wolfgang Schäuble

Ehe wir den Wahlkampf im Trialog fortsetzen, scheint mir die Frage noch wichtig, wie wir auf anständige und verfassungsrechtliche Weise überhaupt zu Neuwahlen kommen. Ich halte den Weg, dass der Bundeskanzler nach einer gescheiterten Vertrauensabstimmung den Bundespräsidenten um vorzeitige Ansetzung von Neuwahlen ersucht, für verfassungsrechtlich und politisch legitim. Und ich glaube nicht, dass eine Forschung nach Motiven, warum Abgeordnete für und gegen eine Vertrauensfrage stimmen, verfassungsrechtlich weiterführend ist. Wenn der Kanzler sich zu einer wirksamen Regierungsarbeit nicht mehr in der Lage sieht und andere regierungsfähige Mehrheiten nicht gegeben sind, ist der Bundespräsident auf Bitten des Bundeskanzlers befugt, vorzeitige Neuwahlen anzusetzen. Es ist sein Entscheidungsrecht. So sieht es das Grundgesetz vor, und das kann ein politisch richtiger Weg aus einer Krise des Landes sein.

Vor einigen Jahren wurde diskutiert, ob man im Grundgesetz die Möglichkeit einführen sollte, dass der Bundestag mit verfassungsändernder ZweidrittelMehrheit vorzeitige Neuwahlen beschließen kann. Dies wurde verworfen, weil damit eines der verfassungsmäßigen Rechte des Bundespräsidenten verloren gegangen wäre, der nach derzeitiger Verfassungslage unter entsprechenden Voraussetzungen allein für eine solche Entscheidung verantwortlich ist. Er ist nach der Ordnung des Grundgesetzes bewusst mit wenig direkten Machtbefugnissen ausgestattet, um als neutrale Instanz für die Integrität der politischen Ordnung als Ganzes bürgen zu können. Wenn die Einführung eines Selbstauflösungsrechts des Bundestages im Grundgesetz diskutiert wird, darf dies nicht außer Acht gelassen werden. Im Übrigen sollte man unter keinen Umständen eine Verfassungsänderung zur Lösung einer akuten Krise erwägen. Das ist gerade der Sinn der Institutionen, dass sie den Rahmen zur Lösung eines konkreten Problems bilden, aber eben nicht für eine ad-hoc-Entscheidung außer Kraft gesetzt oder manipuliert werden dürfen. Dass bei der gegebenen Lage baldige Neuwahlen für unser Land besser sind als der Fortbestand einer Regierung, die nach eigener Auffassung nicht mehr in der Lage ist, das Land erfolgreich zu führen, ist weithin unbestritten. Weil Bundeskanzler, Bundestag und Bundespräsident zusammenwirken müssen, um den Weg zu Neuwahlen zu eröffnen, ist die Gefahr der Manipulation gering.

Soweit scheint mir alles in Ordnung zu sein. Falsch war die Ankündigung am 22. Mai, wenn man erst fünf Wochen später so einen Antrag stellen will. Daraus entstand vorhersehbar das öffentliche Palaver, bei dem so getan wird, als sei die Entscheidung schon getroffen, obwohl der Bundespräsident noch nicht einmal dazu gefragt werden konnte. Die allgemeine Geschwätzigkeit beschädigt die verfassungsrechtlichen Institutionen. Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb der rot-grünen Trickserei zur Beendigung des Visa-Untersuchungsausschusses zu Recht eine schallende Ohrfeige erteilt.

Der Autor CDU-Präsidiumsmitglied

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