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Politik: Der röhrende Hirsch

Steinmeier versucht Abrechnung mit Merkel.

Von Robert Birnbaum

Berlin- Frank-Walter Steinmeier braucht keine drei Minuten bis zum Betreuungsgeld. Das ist theoretisch nicht weiter verwunderlich, konkret aber schon, weil die umstrittene Familienleistung mit dem G-8-Gipfel der wichtigsten Wirtschaftsnationen nur sehr schwer in eine logische Beziehung zu setzen ist und mit dem Nato-Gipfel schlechterdings gar nicht. Der SPD-Fraktionschef versucht es denn auch nicht mal. Steinmeier funktioniert die außenpolitische Großdebatte am Donnerstag im Bundestag in eine Generalabrechnung um. „Das Spiel geht zu Ende“, schleudert er der Kanzlerin entgegen.

Der Temperamentsausbruch ist weniger der Nähe der Debatte zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen geschuldet als vielmehr dem vergangenen Dienstag. Steinmeier hatte in der eigenen Fraktion eine Niederlage kassiert; gegen ihren Fraktionschef stimmten die SPD- Abgeordneten dafür, das neue Anti-Piraten-Mandat für die EU-Mission „Atalanta“ abzulehnen, statt sich bloß zu enthalten. Die Mehrheit war zwar knapp, das Signal aber deutlich: Jetzt aber mal Schluss mit dem Kuschelkurs! Steinmeier hat verstanden. Also gibt er diesmal nicht den Ex-Außenminister, sondern den Hirschen. „Dieses Land braucht eine Befreiung aus der Lethargie“, röhrt der Fraktionschef, „es braucht vor allem wieder ordentliches Handwerk in der Regierung!“

Der Tonfall fällt umso mehr auf, als Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung zu den beiden Gipfeln selbst für ihre Verhältnisse leidenschaftslos geblieben war. Nur am Anfang wird sie einmal etwas lebhafter, als es um „die beiden Säulen“ der europäischen Anti-Krisen-Strategie geht. Haushalte zu sanieren sei unumgänglich, bekräftigt Merkel, aber Wachstum anzuregen auch. Nur – und dies „ganz unmissverständlich“ in Richtung der Opposition – „Wachstum durch Strukturreformen – das ist wichtig. Wachstum auf Pump - das würde uns genau wieder an den Anfang der Krise zurückführen.“

Ansonsten aber liest Merkel im Wesentlichen die Tagesordnungen der beiden Treffen vor, dem Wirtschaftsgipfel am Wochenendsitz des US-Präsidenten in Camp David und dem Gipfel des Nordatlantikpakts in Barack Obamas Heimat Chicago: Euro-Krise und Handelsfreiheit, Afghanistan und Raketenabwehr.

Das ist einerseits alles so komplex und andererseits in Wahrheit so weit Konsens zwischen Regierung und Opposition, dass der Rest der Redner Steinmeiers Einladung zur Polemik nur zu gerne aufnimmt. Unionsfraktionschef Volker Kauder stellt sich da verwundert, dass der SPD-Kollege eine solche Ansprache halte, die doch so gar nicht seiner Position entspreche: „Das ist nicht kraftvoll, das ist einfach schrecklich.“ Der FDP- Fraktionschef Rainer Brüderle höhnt, die SPD mache sich bei „Atalanta“ vom Acker, „Herr Steinmeier hätt’ am liebsten zugestimmt“. Außerdem verdankt die Welt dem Pfälzer das schöne Wort von der „Griechenlandisierung Deutschlands“, die drohe, wenn Rote und Grüne an die Macht kämen. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin revanchiert sich mit „Merkels Law“: In Europa gelte mittlerweile, dass noch der letzte Linkssektierer Wahlen gewinne, wenn er bloß gegen die Kanzlerin sei – während jeder, den Merkel unterstütze, sein Ende fürchten müsse.

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