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Politik: Der Sechs-Tage-Frieden (Leitartikel)

Der Besuch in der Heimat Jesu war sein Lebenstraum. Bereits wenige Tage nach seiner Wahl zum Papst hatte Johannes Paul II.

Der Besuch in der Heimat Jesu war sein Lebenstraum. Bereits wenige Tage nach seiner Wahl zum Papst hatte Johannes Paul II. sich diese Pilgerreise gewünscht. Als 79-Jähriger hat er sie schließlich angetreten und zu einem welthistorischen Ereignis geformt, welches Eingang in die Geschichtsbücher finden wird. Keine seiner vorangegangenen 90 Auslandsbesuche trug ein so hohes Risiko in sich, wie diese sechs Tage im Heiligen Land.

Allzu leicht hätte das katholische Oberhaupt in Israel und Palästina neue Spannungen auslösen und einen Scherbenhaufen hinterlassen können. An Fallstricken und bösen Überraschungen mangelt es nicht: Die Endstatus-Verhandlungen haben gerade begonnen, der Konflikt um Jerusalem ist härter und bitterer denn je, selbst zwischen Christen und Muslimen gibt es in jüngster Zeit Spannungen. Der gestrige Sonntag in Jerusalem mit dem Besuch auf dem Felsendom, der Klagemauer und der Grabeskirche, der Abstecher in die autonome Palästinenser-Stadt Bethlehem oder der Gang zur Holocaust-Gedenkstätte Yad Vaschem: Die Stationen hätten nicht dramatischer und gegensätzlicher sein können.

Johannes Paul II. jedoch absolvierte das heikle Programm mit der Souveränität eines Mannes, der sein Leben lang unbeirrbar in seinen christlichen Grundsätzen verwurzelt war. Diese innere Verankerung verschafft ihm Gehör auf beiden Seiten und schützt ihn vor leichtfertigen Verdächtigungen. Sie erlaubt ihm, ohne tagespolitische Rücksichten seine Stimme zu erheben, wenn Menschen in ihrer Würde verletzt oder ihnen ihre unveräußerlichen Rechte abgesprochen werden. So beklagte Johannes Paul II. in Yad Vaschem mit bewegenden Worten die Opfer des Holocaust sowie Hass, Verfolgung und Antisemitismus von Seiten der Christen gegen die Juden. Nachdrücklich forderte er in dem palästinensischen Flüchtlingslager Dheisheh aber auch die Rechte dieser Menschen ein auf Heimat, Teilnahme an der Gesellschaft und Chance auf Arbeit. Diese doppelte Botschaft zu verkünden in einer Region, welche die Welt seit mehr als fünfzig Jahren mit ihrem Dauerkonflikt zwischen Juden und Palästinensern in Atem hält, dafür bringen nur wenige die nötige Autorität mit. Johannes Paul II. gehört zu ihnen. Beides, die Entschuldigung der Katholiken, und die Kritik ihres geistlichen Oberhaupts, haben in Israel nicht nur große Aufmerksamkeit bekommen, sie sind auch ohne Abwehr angenommen worden.

Denn wie keiner seiner 264 Vorgänger hat sich das katholische Oberhaupt aus Polen für die Aussöhnung zwischen Christen und Juden eingesetzt. Sein Vergebungsgebet für christliche Untaten an der Klagemauer und sein Gang nach Yad Vaschem haben die vom Zweiten Vatikanischen Konzil angestoßene Wende besiegelt - mehr als dies jede Predigt im Petersdom oder jedes apostolische Schreiben hätte tun können. Johannes Paul II. hat den Impuls des Konzils aufgegriffen und bis nach Jerusalem getragen. Er wird in die Geschichte eingehen als ein Papst, der nahezu im Alleingang das über 2000 Jahre gestörte Verhältnis zwischen beiden Bruderreligionen auf eine neue Grundlage gestellt hat.

Gleichzeitig hat das katholische Oberhaupt auf allen seinen Pastoralreisen, die ihn bis in die letzten Winkel der Erde getragen haben, stets Unrecht, Unterdrückung, Rassismus und Verletzung der Menschenrechte angeprangert. So auch diesmal. Ohne Floskeln und diplomatische Rücksichten forderte er die Rechte der Palästinenser ein, die diesen von Israel vorenthalten würden. Der verzagten Minderheit der palästinensischen Christen sprach er Mut zu und versicherte ihnen die Solidarität der Weltkirche. Den palästinensischen Flüchtlingen sagte er zu, die Kirche werde vor der Weltöffentlichkeit der Anwalt ihrer Rechte sein. Mit seiner Pilgerfahrt hat Johannes Paul II. Maßstäbe gesetzt in einer Region, deren Alltag durch Schwarz-Weiß-Denken, Beschuldigungen, Verbitterung, Terror und Schikanen gekennzeichnet ist.

Diese Maßstäbe sind Wahrheit, Versöhnung, Gerechtigkeit und Frieden. Nur aus ihnen wird für alle Völker der Region eine gedeihliche Zukunft erwachsen. Und ihren Ausgang nehmen sie in den Wurzeln des jüdisch-christlichen Ethos: Der Würde jedes Menschen, weil geschaffen nach dem Antlitz Gottes.

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