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Politik: „Der Ton wird rauer“ Europa ist kein Christenclub. Und doch ist die christliche Hoffnungstradition Teil der europäischen Identität

Von Bischof Markus Dröge.

Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden.“ Ob in einer katholischen Messe in Italien, einem orthodoxen Gottesdienst in Griechenland oder Zypern, einer lutherischen Abendmahlsfeier in Schweden oder beim Gottesdienst im Berliner Dom, europaweit erklingt dieser österliche Ruf als Ausdruck der Freude, dass der Tod mit seiner lebenszerstörenden Macht überwunden ist. In Griechenland und Zypern wird dieser Ruf heute allerdings mit größerem Zweifel gehört werden als in den Jahren zuvor.

Der Ton wird rauer in Europa. Der Einigungsprozess ist in eine tiefe Krise geraten. Alte Ressentiments müssen wieder herhalten, um Sündenböcke zu identifizieren, die von den nationalen Ursachen der Krisen ablenken. Immer mehr EU-Mitglieder fühlen sich ungerecht behandelt. Wer auf finanzielle Solidarität angewiesen ist, klagt über Bevormundung. Wer, wie wir Deutschen, mit Milliarden für die Schulden anderer bürgt, muss sich dafür beschimpfen lassen, wenn er wohlüberlegte Bedingungen stellt. Das Gefühl, nur noch ein Objekt fremder Entscheidungen zu sein, macht sich breit. Die Tatsache, dass es inzwischen gemeinsam abgestimmte europäische Entscheidungen sind, die unser Leben bestimmen, dass Gesetze europaweit angeglichen werden, dass die Europäische Union Großes erreicht hat und für Menschen aus aller Welt ein Vorbild für Frieden und Wohlstand ist, all das bleibt eigentümlich abstrakt und dem Alltag fern.

Die Gemeinschaft evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) hat im September 2012 in Florenz ein kritisches Wort zur Lage Europas verabschiedet: „Frei für die Zukunft – Verantwortung für Europa“. Die GEKE, in der fast alle lutherischen, reformierten und methodistischen Kirchen des Kontinents vertreten sind, hat in den 1970er Jahren die fast 500 Jahre andauernden innerevangelischen Kämpfe um die Wahrheit überwunden. Die Glaubenserfahrung, dass Unterschiede bestehen bleiben dürfen, wenn gemeinsame Grundlagen akzeptiert werden, bringt sie nun aktiv in den europäischen Einigungsprozess ein: Im Geist der versöhnten Verschiedenheit liegt die Zukunftskraft Europas.

Die Stellungnahme der GEKE fordert Mut zur Wahrheit. Wahr ist, dass in der europäischen Krise die Stärkeren mehr leisten müssen als die Schwächeren. Höhere Steuern für höhere Vermögen und einmalige Abgaben dürfen deshalb nicht tabu sein. Dies alles aber bedarf einer effektiven Steuerverwaltung, die für Gerechtigkeit sorgt. Wahr ist, dass umfassende Sparprogramme notwendig sind. Aber nicht ohne die systematische Einbeziehung der sozialen Folgen in politische Entscheidungen. Dazu hat sich die Europäische Gemeinschaft selbst in ihrer „Sozialklausel“ (Artikel 9 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU) verpflichtet. Dies aber wird in der politischen Praxis noch nicht beachtet. Wahr ist, dass die Schuldenkrise in hohem Maße eine Folge der Finanzmarktkrise ist. Deshalb muss die Regulierung der Finanzmärkte und der Banken eine entscheidende Rolle spielen. Wahr ist, dass nicht mit einem „Ruck“ zu rechnen ist, der die Probleme löst, sondern dass Europa einen langen Weg vor sich hat, um „in der fortdauernden Krise neue Gestaltungsspielräume für eine gerechtere, solidarische und friedliche Gesellschaft zu gewinnen“, so die GEKE-Erklärung.

Kirchenvertreter sind nicht die besseren Politiker oder Ökonomen. Aber sie müssen den Finger in die Wunde legen und an die Gemeinsamkeiten erinnern: Die Europäische Union hat Beachtliches für Frieden, Freiheit, Wohlstand und Gerechtigkeit geleistet. Die Stärkung der Demokratie und die Abwehr neuer nationalistischer und populistischer Tendenzen in Europa sind heute die größten Aufgaben, die über die tagespolitischen Problemstellungen hinausgehen. Gegen den Nationalismus des 19. Jahrhunderts mit seinen schrecklichen Folgen im 20. Jahrhundert ist der europäische Einigungsprozess entstanden. Populistischer Nationalismus greift deshalb die Wurzeln Europas an.

Europa ist kein Christenclub. Und doch ist die christliche Hoffnungstradition mit ihrem österlichen Jubel Teil der europäischen Identität. In versöhnter Verschiedenheit der Kulturen und Religionen findet diese Hoffnung ihren Ausdruck. Die Hymne der Europäischen Union „An die Freude“ blieb aus gutem Grund ein Melodie-Arrangement. Sie ersetzt nicht die Nationalhymnen der Mitgliedstaaten, sondern ist Ausdruck der Werte: Freiheit, Frieden und Solidarität, Werte, die alle Mitglieder teilen. Die Vision Europa bleibt Modell für ein friedliches Zusammenleben in Freiheit und Gerechtigkeit.

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