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Politik: Der Westen hat die Pflicht, uns in die EU aufzunehmen - Interview mit Aleksander Kwasniewski

Die Polen aufgezwungene Teilung Europas 1945 und der Beitrag der Solidarnosc zum Fall der Berliner Mauer schaffen nach den Worten des polnischen Präsidenten eine moralische Verantwortung des Westens für eine baldige EU-Erweiterung. "Einige historische Rechnungen sind noch offen", sagte Kwasniewski dem Tagesspiegel zum 60.

Die Polen aufgezwungene Teilung Europas 1945 und der Beitrag der Solidarnosc zum Fall der Berliner Mauer schaffen nach den Worten des polnischen Präsidenten eine moralische Verantwortung des Westens für eine baldige EU-Erweiterung. "Einige historische Rechnungen sind noch offen", sagte Kwasniewski dem Tagesspiegel zum 60. Jahrestag des Kriegsausbruchs. Polen wolle 2002 beitrittsfähig sein. Die Entschädigung der Zwangsarbeiter, aber auch die Rückgabe kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter sollen beschleunigt werden, appellierte Kwasniewski. "Dann können wir uns unbelastet auf die gemeinsame Zukunft konzentrieren." Bundespräsident Rau nimmt am Mittwoch als erstes deutsches Staatsoberhaupt an der polnischen Gedenkfeier auf der Westerplatte bei Danzig teil.

Mit der Beschießung der polnischen Festung in der Nähe von Danzig durch ein deutsches Kriegsschiff hatte der Zweite Weltkrieg begonnen.

Der polnische Präsident betonte im Tagesspiegel, die Versöhnungsgesten von Willy Brandt und Helmut Kohl könne man nicht wiederholen, aber "Gesten und Symbolik werden weiter benötigt". Kwasniewski verwies auf das deutsch-polnisch-dänische Korps, das in wenigen Tagen in Stettin offiziell in Dienst gestellt wird.

In Deutschland haben sich zum 60. Jahrestag des Kriegsbeginns Politiker aller Parteien zu ihrer Verpflichtung bekannt, das Grauen des Krieges nie wieder zuzulassen. Das SPD-Präsidium erklärte: "Frieden und Völkerverständigung, Sicherheit und Entwicklung sind auch im 21. Jahrhundert Ziele für die gestritten werden muss." Der CDU-Vorsitzende Wolfgang Schäuble sagte: "Wir stehen in der Pflicht, die Erinnerung an die unheilvollsten Jahre unserer Geschichte zu bewahren und dafür zu sorgen, dass sich ein solches Grauen nicht wiederholt."

Außenminister Joschka Fischer (Grüne) versicherte, Deutschland werde sich "auch in Zukunft seiner historischen Verantwortung stellen". Es werde aktiv am Aufbau eines gemeinsamen "Europas der Integration" mitarbeiten und sich auch für einen schnellen EU-Beitritt Polens einsetzen. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) forderte die Jugend in Deutschland und Polen auf, an dem Ausbau der Beziehungen zwischen beiden Ländern "aktiv mitzuarbeiten".

Die Jugend solle "nachdrücklich allen Kräften entgegentreten, die das bisher schon Erreichte wieder gefährden wollen". Die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Angelika Beer, erinnerte daran, dass Deutschland durch seine Rolle als Aggressor im Krieg eine besondere Verantwortung für Frieden und Menschenrechte habe.

In der Hafenstadt Gdingen (Gdynia) werden Rau und Kwasniewski mit Schülern über einen "Dialog für die Zukunft" diskutieren. Vor zehn Jahren war Rau bereits in seiner Eigenschaft als Bundesratspräsident mit einer Schülergruppe in Palmiry, einem Waldgebiet bei Warschau, in dem im Frühjahr 1940 polnische Widerstandskämpfer und Intellektuelle ermordet wurden.

In Polen wird mit einem landesweiten Sirenensignal zu Beginn der Feier der Opfer des Krieges gedacht. An der Feier auf der Westerplatte nehmen auch deutsche und polnische Soldaten sowie Kriegsveteranen teil. Rau und Kwasniewski besuchen am Abend ein Konzert des Israelischen Philharmonischen Orchesters in Danzig.

Die Parlamentspräsidenten beider Länder, Maciej Plazynski und Wolfgang Thierse, werden in der Gedenkstätte Sachsenhausen eine Gedenktafel für die polnischen Insassen des Konzentrationslagers enthüllen. Beide Politiker werden in Berlin gemeinsam das "Polnische Requiem" von Krzysztof Penderecki in der Berliner Philharmonie hören. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) ist am 3. September Gast eines Konzerts in Warschau und diskutiert mit polnischen Schülern über Vergangenheit und Zukunft beider Staaten.

In Polen begannen schon am Dienstag die Gedenkfeiern zum 60. Jahrestag des Kriegsbeginns. Unter anderem fand ein Appell für die Gefallenen auf dem Warschauer Militärfriedhof sowie eine Begegnung Kwasniewskis mit Kriegsteilnehmern statt.

Die Nationalsozialisten errichteten in Polen nach dem Überfall im Jahre 1939 eine Schreckensherrschaft. Insgesamt kamen mindestens sechs Millionen Polen im Zweiten Weltkrieg ums Leben, die meisten von ihnen waren Zivilisten. Unter den Getöteten waren rund drei Millionen Juden.

cvm

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