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Jutta Günther ist Mitglied des Vorstands und Leiterin der Abteilung Strukturökonomik am Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH).

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Politik: „Der Westen hat vom Aufbau Ost profitiert“

Vielen bundesdeutschen Kommunen ging es schon vor der Wende schlecht – und das hatte auch hausgemachte Ursachen, sagt Wirtschaftsforscherin Jutta Günther aus Halle.

Seit Wochen gibt es wieder eine Ost-West-Debatte, im Zentrum steht die Regionalförderung. In Nordrhein-Westfalen ist das zum Wahlkampfthema geworden. Ist denn der Aufbau Ost mit einem Abbau West erkauft worden?

Nein, das kann man nicht behaupten. Die westdeutsche Wirtschaft hat erheblich vom Aufbau Ost profitiert. Neue Absatzmärkte öffneten sich, Arbeitsplätze im Westen wurden gesichert. Aber wenn man beginnt, Erfolge und Misserfolge in Ost und West gegeneinander aufzurechnen, ist man auf dem falschen Weg. Dann verrechnet man als Nächstes Regionen innerhalb des Ostens oder innerhalb Westdeutschlands miteinander, und dies wäre absurd. In Ost und West, in Nord und Süd haben sich in den letzten 20 Jahren regionale Stärken und Schwächen herausgebildet. Der Aufbau Ost war eine finanzielle Belastung West, aber kein Abbau West.

Aber muss man nicht Verständnis haben für die aktuellen Klagen der Bürgermeister speziell im Ruhrgebiet?

Man muss Verständnis haben für die Bürgermeister im Ruhrgebiet und andernorts, die sich in finanziellen Notlagen befinden. Die Ursache dafür aber allein beim Aufbau Ost zu suchen, wie es immer wieder behauptet wird, greift viel zu kurz. Das vermittelt einen falschen Eindruck. Einer Reihe von Städten und Kommunen im Westen ging es bereits vor der Wende finanziell schlecht, was viele, manchmal auch hausgemachte Ursachen hat. Oder der Strukturwandel mit dem Verlust von Industriearbeitsplätzen im Ruhrgebiet: Das ist ein europaweites Problem und hat nichts mit dem Osten zu tun.

Ist das Ruhrgebiet nun abgehängt worden – oder hat es den Anschluss verschlafen?

Die wirtschaftlichen Probleme im Ruhrgebiet haben viele Ursachen. Die Region ist hart von einem weltweiten Strukturwandel getroffen worden. Wenn man das als ein Abhängen bezeichnen möchte, klingt das aber eher nach Opferrolle, die nicht zutreffend ist. Kohle und Stahl sowie industrielle Massenproduktion haben an Bedeutung verloren. Aber dieser Wandel der wirtschaftlichen Strukturen ist immer auch Teil von Wachstumsprozessen. Wenn man den Problemen des Strukturwandels nicht frühzeitig durch neue Technologien und somit neue Unternehmen und Arbeitsplätze etwas entgegensetzt, kann man den Anschluss verpassen. Allerdings ist es nicht leicht, in die Zukunft zu blicken und auf das „richtige Pferd“ zu setzen. Es gelang zum Teil im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologien, zum Beispiel Mannesmann, aber nicht flächendeckend.

Und was vor allem ist falsch gemacht worden in Nordrhein-Westfalen beim strukturellen Umbau?

Hinterher ist man immer klüger, insofern hat man gut reden, wenn man feststellt, dass die Dienstleistungsorientierung vieler Städte und Kommunen in Nordrhein-Westfalen nicht zum erhofften Ziel geführt hat. Der Bau großer Einkaufszentren, Kinos und Musical-Theater ging vielfach am Bedarf vorbei. Die Abwanderung infolge fehlender Industriearbeitsplätze – ähnlich wie im Osten – verschärft das Problem, und nun gibt es Wohnungs- und Gewerbeleerstand, der auch durch niedrige Preise nicht vollständig verschwindet. Diesen Kreislauf zu durchbrechen, ist schwierig.

Der Osten hat bei aller Förderung noch längst nicht das Wirtschaftsniveau des Westens erreicht. Muss man von einem Scheitern des Aufbaus Ost sprechen?

Nein, der Aufbau Ost ist keineswegs gescheitert, unterschätzt wurden die Fristen für die Angleichung an das Westniveau. Es wurde sehr viel erreicht: Modernisierung der Infrastruktur, Aufbau wettbewerbsfähiger Unternehmen, Integration in die internationale Arbeitsteilung und Etablierung einiger Standorte für Spitzentechnologie. Die Produktivität liegt mit 80 Prozent des Niveaus im Westen zwar noch zurück, aber das liegt an den Wirtschaftsstrukturen: viele kleine und mittlere Unternehmen und nur wenige international aufgestellte Unternehmenszentralen. Diese Strukturen verändern sich nur langsam. Die Politik kann dabei nichts erzwingen, sondern unterstützend wirken, wo bereits initiative Unternehmen mit guten Konzepten tätig sind.

Was kann man denn für den Westen – und allgemeiner für die künftige Regionalpolitik – von den Erfahrungen im Osten ableiten?

Man kann vom Osten lernen, dass man Regional- und Innovationspolitik gut miteinander verbinden kann. Das heißt, dass viel versprechende Regionen eine Förderung erhalten, die neue Technologien und Innovationen unterstützt. Diese Förderung soll wettbewerblich vergeben werden, so wie in den Programmen der Initiative „Unternehmen Region“. Es wurden auch bereits Programme erfolgreich auf den Westen ausgeweitet, die ursprünglich für den Osten konzipiert waren, zum Beispiel die Netzwerkprojekte des Bundeswirtschaftsministeriums.

Aktive Konjunkturpolitik wird heute kritischer gesehen als vor 30, 40 Jahren. Was gilt für die regionale Strukturpolitik? Ist sie effizient? Wäre es nicht besser, man würde weniger fördern?

Die Ausgestaltung der regionalen Strukturpolitik ist nicht in erster Linie eine Frage des „Weniger“ oder „Mehr“. Es ist eher eine Frage des „Wie“ und „Wofür“ man Geld ausgibt. Der flächendeckende, gleich verteilte Einsatz der Mittel mit der sogenannten Gießkanne ist nicht zu empfehlen. Das war im Osten in den 90er Jahren gerechtfertigt, als eine grundlegende Modernisierung des Kapitalstocks und der Infrastruktur erforderlich war. Jetzt sollte man in Ost und West, in Nord und Süd gezielt vorgehen und Regionen mit erkennbarem Potenzial unterstützen, zukunfts- und technologieorientiert.

Die Fragen stellte Albert Funk.

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