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Politik: Des Kanzlers neue Kleider

REGIERUNGSERKLÄRUNG

Von Gerd Appenzeller

Noch nie hat Bundeskanzler Gerhard Schröder eine Regierungserklärung in so aufgewühlten Zeiten abgeben müssen. Heute geht es nicht um soziale Reformen, sondern um Deutschlands Rolle in der Welt. Es geht um die Stellung, die dieses Land sich innerhalb der Staatengemeinschaft zutraut und die es für angemessen hält. Es geht, vordergründig, um den IrakKonflikt. Tatsächlich geht es darum, ob Bundeskanzler Schröder dieses Land aus seiner internationalen Verankerung lösen will. Und am Rande auch um Schröders Zukunft.

Die Deutschen wollen keinen Krieg um den Irak. Da sind sie sich mit allen europäischen Völkern einig. Die Argumente der Amerikaner für einen Krieg überzeugen nicht. Die Menschen glauben auch nicht an eine Verbindung zwischen Saddam Hussein und der Terrororganisation Al Qaida. Das ist, über Wissen hinaus, tatsächlich auch Glaubensfrage – so wie die Regierung in Washington das neueste Tonband von bin Laden als Beweis der Verbindung wertet, sieht die Regierung in Berlin darin den Beleg, dass ein solcher Kontakt fehlt. Die meisten Europäer sind zutiefst irritiert darüber, mit welcher Verbissenheit die USA auf einen Krieg zusteuern und sich kaum durch rationale Einwände davon abbringen lassen.

Der Kanzler kann sich also, wenn er am Donnerstagmorgen an das Rednerpult des Bundestages tritt, einig fühlen mit vielen Regierungen und Bürgern auf unserem Kontinent. Dennoch ist er weit gehend isoliert. Und mit ihm das Land, das er verantwortungsvoll führen sollte. Zu dieser Vereinsamung kam es, weil Gerhard Schröder zunächst seine persönliche Rolle und dann das politische Gewicht unseres Landes maßlos überschätzt hat. Erst war der Irak-Krieg ein zugkräftiges Wahlkampf-Thema gegen den Verfall seines Ansehens. Das war leichtfertig. Nun aber hat er es auch noch gefährlich ideologisch überhöht. Nun geht es ihm darum, ob eine multipolare Welt erhalten bleibt oder künftig nur noch eine Macht auf der Welt bestimmt. Das neue Ziel dieses Kanzlers, wie er es am Montagabend vor der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion definiert hat, lautet: Ich will den hegemonialen Anspruch der USA brechen. Jetzt.

Der Vormachtanspruch von George W. Bush kann durchaus beunruhigen. Deshalb gibt es gute Gründe, die internationalen Organisationen, von der Nato über die Europäische Union bis zu den Vereinten Nationen, zu nutzen, um den jetzigen Präsidenten an ein weltpolitisches Prinzip seines Vaters zu erinnern. Das lautete: Partners in Leadership. Das heißt nicht Vasallentum. Dennoch bleibt der Kanzler die Antwort auf die entscheidende Frage immer noch schuldig: Was geschieht eigentlich, wenn Saddam Hussein weiter Versteck spielt und eben nicht vollständig kooperiert, wie es die UN-Resolution 1441 von ihm verlangt? Das ist des Kanzlers Dilemma: Wie er der „Frieden-statt-Krieg“-Position treu bleiben und sich selbst und das Land dennoch wieder in die Gemeinschaft zurückführen kann.

Nach dem 11.September sprach Gerhard Schröder sehr weit reichend von „uneingeschränkter Solidarität“. Eine solche Formulierung hat nicht einmal Tony Blair gebraucht. Inzwischen scheint es dem Kanzler eher um uneingeschränkte Distanzierung von Amerika zu gehen. So behandeln Staaten einander nicht, so verkommt die Diplomatie, so bewirken Schröder und Deutschland, beides mittlere Faktoren im weltpolitischen Spiel: nichts. Die Vorstellung, Deutschland könne den USA den Weg weisen, ist sehr – deutsch. Hat Schröder das verstanden? Am Donnerstag um neun Uhr sehen wir des Kanzlers neue Kleider. Vielleicht. Hoffentlich sehen wir ihn nicht – nackt.

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