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Politik: Deutliche Mehrheit in USA für Bodentruppen

WASHINGTON . "Die Umstände machen es nötig, daß sämtliche Optionen auf dem Tisch liegen.

WASHINGTON . "Die Umstände machen es nötig, daß sämtliche Optionen auf dem Tisch liegen." JAVIER SOLANA, NATO-Generalsekretär

Am Donnerstag begann die großräumige Sperrung der Washingtoner Innenstadt für den NATO-Gipfel am Wochenende.Zehntausende Bundesbedienstete in der US-Hauptstadt könnten sich auf Sonderurlaub freuen: Weil ihre Büros am heutigen Freitag nur noch per pedes zu erreichen wären, dürfen sie zu Hause bleiben.

Das Weiße Haus hat nicht nur keinen Urlaub, sondern mit "per pedes"-Problemen ganz anderer Dimension zu ringen.Bodentruppen oder die Drohung mit Bodentruppen - diese Frage wird den Jubiläumsgipfel zum 50.Geburtstag der Allianz überschatten.Am Donnerstag hielten zwei neue Begriffe in die amerikanische Kosovo-Debatte Einzug: "gesunder Menschenverstand" und "semi-permissive environment" ("halb-geeignetes Umfeld").

Bislang hieß es aus der Clinton-Regierung stets, man glaube an den Erfolg der Luftschläge.28 000 Soldaten am Boden kämen nur zum Einsatz, wenn es einen Friedensvertrag oder zumindest ein "permissive environment" gebe, also ein "geeignetes Umfeld", das das Risiko für NATO-Soldaten minimiert.Vizeverteidigungsminister Frank Kramer meinte am Freitag vor zwei Wochen bei einer Tagung dann plötzlich, die Luft-Strategie nur noch dadurch verteidigen zu können, daß er sie der NATO in die Schuhe schob."Generalsekretär Solana und General Naumann sind zuversichtlich, daß es reicht.Die kriegen alles, was sie brauchen.Wenn Bodentruppen in Brüssel zum Thema werden, kann man darüber reden."

Jetzt wird offen über das "halb-geeignete Umfeld" gesprochen, in das man hineingehen müsse, wenn die Luftangriffe auf Jugoslawien weiter wenig Wirkung zeigen.In den Korridoren im Brüsseler NATO-Hauptquartier ist das Wort "semi-permissive" blitzschnell zum Codewort für den neuen Strategieansatz geworden.Als transatlantische Zugmaschine betätigt sich Tony Blair.Am Dienstag sagte der britische Premier, "man soll nichts ausschließen".Dann verkündete sein Sprecher, Bodentruppen für das Freikämpfen des Kosovo "sollten eine Option sein".Blair meinte am Mittwoch: "Bodentruppen sollten auf dem NATO-Gipfel besprochen werden."

Clintons Sprecher sekundierte aus Washington mit Äußerungen zur Frage, ob die alten Einsatzpläne vom vergangenen Oktober erneuert werden sollten."Eine gute Idee", fiel Joe Lockhart ein, und dann sagte er: "Wir unterstützen die NATO, wenn sie in verantwortungsvoller Weise ihre Kontingentierungs-Planung aktualisiert." In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag verkündete Solana genau dies: Er habe die Militärführung der Allianz bevollmächtigt, "Pläne für eine mögliche Landoffensive zu revidieren und aktualisieren".

"Eine Teilung des Kosovo ist zur Lösung nicht angebracht und nicht Ziel der USA." MADELEINE ALBRIGHT, US-Außenministerin

Das, was lange als ausgeschlossen galt, der Einsatz von Bodentruppen, rückt näher.Und hier kommt der zweite Begriff ins Spiel.Ein enger Clinton-Vertrauter meinte, es entspreche doch nur "gesundem Menschenverstand", wenn man seine mögliche Einsatzplanung auf den neuesten Stand bringe.

So wird jetzt vorbereitet, was die meisten europäischen Regierungen weiter fürchten: eine Invasion Kosovos mit dem Ziel, die Provinz freizukämpfen.880 000 Soldaten haben die USA noch - vor fünf Jahren waren es 1,18 Millionen.Das einzige publik gewordene Szenario über mögliche Opfer einer Kosovo-Invasion nennt die Zahl 1500.Inwieweit die serbischen Einheiten noch kampffähig und aus Belgrad steuerbar sind, ist höchst unklar - aber entscheidend für die Frage, mit wieviel Gegenwehr gerechnet werden müßte.

Die Briten und - mit Einschränkungen - die Franzosen sowie die Türken gelten aus US-Sicht als jene, auf die man am ehesten bauen kann.Daß alle 19 NATO-Nationen Soldaten stellen, erwartet in Washington kaum jemand.Daß es sich um ein Projekt der Allianz und nicht der USA handelt, wäre auch durch eine begrenzte Teilnehmerzahl garantiert.

Bill Clinton ist alles andere als kriegslüstern - der Chef zögert am meisten.Außenministerin Albright gilt als Falke, und im Pentagon herrscht Unmut, weil man den Politikern schon vor der Bombardierung gesagt hat, daß diese erstens nicht reicht und zweitens die humanitäre Lage verschlechtert.Wesentlicher Druck auf Clinton, nicht wie in Vietnam die Eskalation nach Salamitaktik zu betreiben, kommt aus dem Kongreß.Die Phalanx der Außen- und Sicherheitspolitiker aus Ex-Regierungen und beiden Kammern auf dem Capitol Hill verlangt mittlerweile fast einmütig klare Ziele und zumindest die Vorbereitungen für Bodentruppen - damit diese als Drohpotential glaubhaft sind.Auch die Mehrheit der öffentlichen Meinung hätte Clinton hinter sich, wenn er den Schwenk wagt.

Einer seiner Ratgeber in dieser Situation ist der Gast, den er gerade bei sich im Weißen Haus hatte.Helmut Kohl heißt er, und beide haben zwei lange Nächte mit der Debatte über das Kosovo verbracht.Helmut sagte seinem Freund Bill, daß die Einbindung Rußlands und des UNO-Sicherheitsrates die entscheidenden Momente seien, um europäische Befürchtungen im Falle eines Landkrieges zu dämpfen.

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