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Politik: Deutsch-französische Beziehungen: Grenzgängerin

Ihr Einstand war furios. Die Deutschen trauten ihren Augen und Ohren nicht, als Gerhard Schröder bei seinem Antrittsbesuch in Paris im Oktober 1998 in aller Öffentlichkeit Rilke-Verse rezitierte.

Ihr Einstand war furios. Die Deutschen trauten ihren Augen und Ohren nicht, als Gerhard Schröder bei seinem Antrittsbesuch in Paris im Oktober 1998 in aller Öffentlichkeit Rilke-Verse rezitierte. Das schien so gar nicht zu dem deutschen Auto-Kanzler zu passen. Die Franzosen dagegen waren entzückt. Statt des erwarteten, allzu anglophilen Mannes aus dem Volk präsentierte sich ihnen ein "homme de lettres", ein Schöngeist. Brigitte Sauzay, die Frankreichberaterin Schröders, konnte ihren ersten großen Erfolg verbuchen. Sie nämlich hatte den Deutschen zu dem literarischen Ausflug in den Pariser Vorort Meudon überredet, in dem einst Rainer Maria Rilke als Sekretär für den Bildhauer Auguste Rodin arbeitete.

Zu einem dauerhaften Aufschwung hat die Episode den deutsch-französischen Beziehungen allerdings nicht verholfen. Im Gegenteil: Spätestens seit den Verhandlungen für den Vertrag von Nizza scheint das Verhältnis zwischen den einstigen Partnern getrübt, wenn nicht zerrüttet. Die regelmäßigen deutsch-französischen Konsultationen, wie an diesem Dienstag in Freiburg, haben daran bisher nichts geändert. Ist das "Projekt Sauzay" - eine Interpretin französischer Befindlichkeiten an der Seite des Kanzlers zu installieren - also gescheitert? Schon unter Kohl sei der Kontakt zwischen Paris und Bonn abgeflaut, sagt Brigitte Sauzay. "Die Franzosen haben Deutschland vor lauter Kohl nicht mehr gesehen und wurden dann später von den Veränderungen bei ihren Nachbarn völlig überrascht." Jetzt, so die zierliche Südfranzösin, die zwischen 1979 und 1997 drei französischen Präsidenten als Dolmetscherin diente, müsse eine neue "Vertrautheit" zwischen Franzosen und Deutschen entstehen; das brauche Zeit.

In der Praxis muss Brigitte Sauzay häufig auch für Gerhard Schröder intellektuell übersetzen. "Nehmen Sie beispielsweise die Jospin-Rede zur Zukunft Europas. Vieles, was der französische Premier gesagt hat, lässt sich nur schwer ins Deutsche übertragen." Wenn im deutschen Redetext etwa stehe, "ich wünsche mir ein Europa, das seine Identität bekräftigt...", dann klinge dies viel schwächer als mit dem von Jospin tatsächlich benutzten Verb "je désire ...".

"Die emotionale Seite der Rede ist deshalb in Deutschland kaum wahrgenommen worden. Hier wurde sie im Wesentlichen als Absage an die föderalen Europa-Thesen von Gerhard Schröder verstanden", so Deutschlandkennerin Brigitte Sauzay. Dem Kanzler hat die 53-Jährige die fehlende Dimension des Jospin-Auftritts klar zu machen versucht. Denn die zeige, welch großen Schritt der als rigoros geltende Jospin, der sich in der Europapolitik bislang zurückgehalten hat, getan habe - einen Schritt auf Deutschland zu. "Außerdem will auch er inzwischen eine europäische Verfassung. Wer hätte das vor wenigen Jahren für möglich gehalten?"

Brigitte Sauzay arbeitet aber nicht nur auf diese Weise für den Kanzler. Im vierten Stock im Leitungsblock des neuen Kanzleramtes versucht sie auch "in die Zivilgesellschaft hineinzuwirken", wie sie sagt. In Berlin und Genshagen, wo sie seit 1993 gemeinsam mit dem Historiker Rudolf von Thadden das "Berlin-Brandenburgische Institut für deutsch-französische Zusammenarbeit" leitet, organisiert sie Diskussionsrunden mit Politikern und Intellektuellen von beiden Seiten des Rheins. Sie hat ein Austauschprogramm für Schüler aufgebaut und die Gründung einer deutsch-französischen Filmakademie vorbereitet. "Zunächst habe ich eher diskret gearbeitet, weil ich in gewissen Kreisen nicht gleich akzeptiert wurde. Doch das hat sich geändert", so Brigitte Sauzay, "jetzt fühle ich mich viel freier. Ich bin zu einer Art Anlaufstelle für deutsch-französische Fragen geworden."

Auch der eine oder andere französische Politiker holt inzwischen den Rat der Germanistin im Kanzleramt ein, und das, obwohl der "Seitenwechsel" der früheren Mitterrand-Vertrauten vor zweieinhalb Jahren in Paris nicht eben mit Begeisterung aufgenommen wurde. Loyalitätsprobleme kennt Brigitte Sauzay aber nicht: "Deutschland und Frankreich sind keine konkurrierenden Firmen mehr."

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