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Politik: Deutsch-französische Kooperation: Je besser die Zusammenarbeit zwischen Paris und Berlin, desto schlechter für Prodis Kommission (Kommentar)

Europa, heißt es, braucht die enge deutsch-französische Zusammenarbeit. Aber zugleich nimmt Europa sie als Bedrohung des Kräftegleichgewichts in Europa wahr.

Europa, heißt es, braucht die enge deutsch-französische Zusammenarbeit. Aber zugleich nimmt Europa sie als Bedrohung des Kräftegleichgewichts in Europa wahr. Außenminister Fischers Europa-Rede, der deutsch-französische Gipfel in Mainz und schließlich Präsident Chiracs Auftreten in Berlin sollten symbolisieren: Deutschland und Frankreich haben eine Vision von Europa - und sie kämpfen für die Erweiterung und eine durch Reformen auch künftig handlungsfähige EU gleichermaßen.

Doch mehrere EU-Partner empfanden die Initiativen als Provokation. Sie wollen Engagement, aber keine Hegemonie. Sie fürchten zurück zu bleiben, wenn die beiden Größten vorpreschen. Dies betrifft nicht nur kleinere, weniger einflussreiche oder weniger integrationsbereite Mitgliedsstaaten, die, zum Beispiel, ihre Zweifel am Umgang der großen Länder mit Österreich haben. Sondern es betrifft auch die EU-Kommission. Durch eine zu enge Zusammenarbeit der Regierungen sieht sie ihre Rolle als Hüterin des Europäischen Vertragswerkes in Frage gestellt. An wichtigen Entwicklungen, etwa in der Außenpolitik, werde die Kommission nicht beteiligt. Die Nationalstaaten, so der Eindruck, fordern die Debatte über die Kompetenzaufteilung, um weitere Politikfelder dem europäischen Zugriff zu entziehen anstatt die Harmonisierung zu befördern.

Man darf unterstellen, dass weder Deutschland noch Frankreich die Absicht haben, den deutsch-französischen Motor als Antrieb für eine Dampfwalze einzusetzen. Beflissen bemüht sich Präsident Chirac, die Missverständnisse auszuräumen, die seine Berliner Rede ausgelöst hat. Zugleich scheinen Paris und Berlin aber zu meinen, ein gemeinsamer Kraftakt könne ebenso positiv wirken wie die - viel mühsameren - vertrauensbildenden Maßnahmen gegenüber den kleinen Staaten. Die fühlen sich deshalb besser durch die EU-Kommission vertreten.

Nur auf den ersten Blick wirkt es effizienter, zu zweit, dritt oder viert auf Regierungsebene Absprachen zu treffen - denen sich die anderen, kleineren Partner dann nicht entziehen können. Denn fast alle europäischen Initiativen von Bedeutung müssen am Ende die Hürde des Einstimmigkeitsprinzips nehmen. Die Zusammenarbeit der Regierungen ist zur Vorbereitung unabdingbar, aber sie wirkt kontraproduktiv, wenn sie die gemeinsamen EU-Institutionen aushöhlt. Der Trend zu Absprachen weniger Regierungschefs löst die Probleme nicht. Er verschärft die Schwierigkeiten eher, weil nicht alle Regierungen gleichermaßen eingebunden sind. Nur eigenständige gemeinsame Institutionen können einigermaßen neutral das Interesse des großen Ganzen vertreten.

Die deutsch-französischen Initiativen der letzten Monate waren weder ausreichend inhaltlich mit den Partnern abgestimmt noch wurden sie mit der nötigen Sensibilität für deren Empfindlichkeiten vorgetragen. Wenn sich dies nicht ändert, wird es schwierig, alle Partner beim EU-Gipfel in Nizza im Dezember für eine effektive Reform der Institutionen zu gewinnen. Endet Nizza aber mit einem Formelkompromiss, dann wird das zu einer weiteren Schwächung der EU-Kommission und zu einer Stärkung der nationalen Regierungen und ihrer Kooperation führen. Durch ihre verstärkte bilaterale Zusammenarbeit bauen Paris und Berlin derzeit die Barrieren immer höher, die sie eigentlich beseitigen wollen.

Mariele Schulze Berndt

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