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Politik: Deutschland, deine Kinder: Mit Fremdenhass gegen die eigene Fremdheit

Das Problem liegt auf der Hand: Seit der Vereinigung gehören im öffentlichen Bewusstsein grölende, schlagende und mordende Jugendliche zum deutschen Alltag. Vor allem im Osten ist die "rechte Gewalt" präsent.

Das Problem liegt auf der Hand: Seit der Vereinigung gehören im öffentlichen Bewusstsein grölende, schlagende und mordende Jugendliche zum deutschen Alltag. Vor allem im Osten ist die "rechte Gewalt" präsent. Doch nur vordergründig handelt es sich dabei um den politischen Protest ideologisch gefestigter Akteure. Brandenburgs Staatssekretär Eike Lancelle gab erst kürzlich bekannt, dass die meisten rechtsextremen Straftäter in seinem Land zwischen 14 und 20 Jahre alt seien. Gleichzeitig verwies er auf Defizite in Elternhaus und Schule.

Auch Wolfgang Benz, Zeithistoriker an der TU Berlin und Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung, begreift die jugendliche Gewaltbereitschaft als ein primär soziales Problem. Darin spiegelten sich ein Generationenkonflikt sowie die Kampfansage an eine Gesellschaft, in die sich die Protagonisten nicht integriert fühlten. "Deutschland", schreibt Benz, "bietet nach der Vereinigung von DDR und BRD das Bild eines Staates mit zwei Gesellschaften, deren Menschen unterschiedliche Sozialisationserfahrungen haben und deshalb ganz unterschiedlich auf Probleme reagieren."

Über die Ursachen "rechter Gewalt" ist in den letzten Jahren heftig und kontrovers diskutiert worden. Christian Pfeiffer etwa, der erstmals einen Zusammenhang zwischen der autoritären Kollektiverziehung in der DDR und rechtsradikalen Einstellungen behauptet hatte, stieß mit seinen Thesen im Osten auf leidenschaftliche Ablehnung. Nicht nur legte hier ein Kriminologieprofessor aus Hannover eine Studie vor, derzufolge ostdeutsche Jugendliche etwa fünf Mal fremdenfeindlicher und gewaltbereiter sind als ihre westdeutschen Altersgenossen. Pfeiffer stellte auch die Betreuung der Kinder in den flächendeckenden Krippen und Kindergärten in Frage. Viele der ehemaligen DDR-Bürger, die jenes Erziehungssystem bis heute als "Errungenschaft" betrachten, erlebten den westdeutschen Erklärungsansatz daher als doppelte Kränkung.

Wolfgang Benz hat sich nun vorgenommen, die wachsende Gewaltbereitschaft und neonazistische Einstellung bei Jugendlichen im gesamtdeutschen Zusammenhang zu untersuchen. Und fragt: "Inwiefern sind wir als Erwachsene in der deutschen Gesellschaft seit drei Generationen mitbeteiligt am Entstehen von rassistischen Feindbildern bei jungen Menschen?" Benz und seine Frau, die Psychoanalytikerin Ute Benz, sind die Herausgeber eines Buches, in dem Psychologen, Therapeuten, Historiker, Sozialwissenschaftler sowie Erzieher aus Ost und West zu Wort kommen.

In der neueren deutschen Geschichte hat es Feindbilder nicht nur im zwischenmenschlichen Alltag gegeben, sie funktionierten auch zwischen den Staaten. Petra Vogelgesang, die in der DDR als Psychologin mit Jugendlichen arbeitete, erinnert sich: "Wir haben uns jahrzehntelang gegenseitig definiert - die negativen Eigenschaften waren auf der jeweils anderen Seite."

Die Überwindung früherer Feindbilder, mit denen die Generation unter dem Nationalsozialismus aufgewachsen war, verlief jedoch, ebenso wie der Bruch mit der NS-Ideologie, in beiden deutschen Staaten unterschiedlich. Während die Bürger der DDR durch einen "antifaschistischen" Staat vom nationalsozialistischen Erbe gewissermaßen freigesprochen wurden, wagten es die 68er in der Bundesrepublik, die Geschichte gegen den Strich zu bürsten.

"Diese 68er", so die in der DDR aufgewachsene Psychotherapeutin Annette Simon, "haben die demokratische Kultur der Bundesrepublik stärker geprägt, als sie es jetzt selbst manchmal wahrhaben will." In der DDR habe es eine vergleichbare "Kulturrevolution" nicht gegeben. Dort sei der Alltag geprägt gewesen "vom Fortwirken und der ständigen Neukonsolidierung autoritärer, hierarchischer Strukturen und vom Versuch der einzelnen Bürger, sich irgendwie damit zu arrangieren."

Insofern ist es durchaus ein Verdienst Pfeiffers, die längst überfällige Auseinandersetzung mit der DDR-Kindererziehung in Gang gebracht zu haben. Allerdings unterschlägt seine historische, ausschließlich DDR-spezifische Betrachtung die sozialen Spannungen der Nachwendezeit. Jugendliche Gewalt und Rechtsextremismus aber, so behaupten das Ehepaar Benz und ihre Autoren, seien nicht zuletzt eine Reaktion auf den als kollektive Entwertung erlebten gesellschaftlichen Transformationsprozess: "Die eigene Fremdheit in der neuen Westkultur und das sich ihr Nicht-Gewachsen-Fühlen wird auf Ausländer projiziert und mit ihnen zusammengeschlagen."

Dabei spiele freilich auch die Familie eine Rolle; wenn zum Beispiel nationalsozialistisch geprägte Einstellungen von den Großeltern an die Enkel weitergegeben würden. Annette Leo formuliert einen brisanten, aber nicht abwegigen Gedanken: "Die kaum reflektierten Erinnerungen und über lange Zeit verleugneten Wertvorstellungen der Großeltern gewannen möglicherweise in dem Maße an Bedeutung, wie die Handlungsorientierungen der Eltern durch das Ende der DDR plötzlich obsolet wurden."

Das Buch "Deutschland, deine Kinder" zeichnet also keine jugendlichen Monster, sondern versucht, den "Aufstand angstvoller Unterprivilegierter" aus einer Perspektive zu erklären, die die Erfahrungen verschiedener Generationen in einer Nation berücksichtigt, die sich noch tief gespalten zeigt. Gewiss, es sind vor allem ostdeutsche Jugendliche, die als rechtsextreme Straftäter auffallen. Doch dagegen hilft weder die Stigmatisierung aus dem Westen noch die Wagenburgmentalität betroffener Eltern und Politiker im Osten.

Gefragt ist vielmehr offensives Verhalten und Bereitschaft zur Konfliktlösung. Und die muss noch gelernt werden. "Vielleicht", hofft Annette Simon, "ist jetzt die Zeit dafür reif, dass die DDR-Bürger miteinander über die Vergangenheit streiten und sich nicht immer nur in Abwehrkämpfen gegen westliche Zuschreibungen verbünden." Das Buch ist ein kleiner, unbequemer, aber wichtiger Schritt in diese Richtung.

Roman Rhode

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