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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Justin Trudeau (r), Premierminister von Kanada.

© dpa, Kai Nietfeld

Kanada-Reise von Bundeskanzler Scholz: Deutschland setzt auf kanadischen Wasserstoff

Deutschland und Kanada schließen Energiepartnerschaft. Bei der Deckung des Bedarfs können die Nordamerikaner aber nur begrenzt helfen

Die Provinz Neufundland und Labrador ist landschaftlich eine der reizvollsten Regionen Kanadas. Auf den Reiseprogrammen europäischer Politiker taucht sie aber selten auf. Anders nun bei Bundeskanzler Olaf Scholz. Die vom Wind umtoste Insel an der Atlantikküste spielt in den Plänen des deutschen Regierungschefs, die Energieversorgung Deutschlands auf sicherere Beine zu stellen, eine wichtige Rolle. Von dort könnte der umweltschonende Energieträger Wasserstoff kommen.

In Stephenville, einem etwa 7000 Einwohner zählenden Städtchen an der Westküste der Insel, war bis vor wenigen Jahren der Papierkonzern Abitibi der wichtigste Arbeitgeber – bis er seine Mühle schloss. Jetzt soll ein neuer Wind wehen: In und rund um Stephenville könnte die Windkraft ausgebaut werden, die wiederum Energie für die Elektrolyse und Gewinnung von Wasserstoff liefern soll. Das US-Unternehmen World Energy GH2 etwa will einen Windpark an Neufundlands Westküste bauen und auf dem ehemaligen Abitibi-Gelände Wasserstoff produzieren.

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Für Scholz und Kanadas Premier Justin Trudeau ist die Wasserstoffwirtschaft ein wichtiger Bereich der künftigen Kooperation in der Energiepolitik und beim Übergang zu sauberen, erneuerbaren Energiequellen. Daher stand die Unterzeichnung einer Vereinbarung über den Aufbau einer Partnerschaft in der Wasserstoffwirtschaft auf dem Programm des kurzen gemeinsamen Stephenville-Aufenthalts. Die mehrseitige Vereinbarung wird die Basis für eine Wasserstoff-Lieferkette von Kanada nach Deutschland sein, die bereits in wenigen Jahren stehen soll.

Nur ein Terminal für Flüssiggas

Der grüne Wasserstoff in der Energiestrategie beider Länder die entscheidende Rolle. Er wird durch Elektrolyse hergestellt, bei der Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt wird. Der dafür benötigte Strom soll aus erneuerbaren Energien wie Windkraft kommen. Sowohl der Strom als auch die Produktion von Wasserstoff sind CO2-frei. Wasserstoff soll dann Öl, Kohle und Erdgas ersetzen.

Kanada ist auch ein bedeutender Förderer von Erdgas. Der Ukraine-Krieg und die Drosselung der russischen Gaslieferungen an Deutschland machen die Suche nach neuen Lieferanten zumindest für eine Übergangszeit notwendig. Mit seinen gewaltigen Ressourcen ist Kanada zwar einer der größten Erdgasförderer der Welt. Aber nur an der Westküste steht ein Terminal für Exporte nach Asien kurz vor der Fertigstellung. An der Ostküste gibt es derzeit keine Terminals, um von dort Flüssigerdgas (LNG) nach Europa zu exportieren. Ein Terminal des spanischen Konzerns Repsol kann bisher nur für Importe genutzt werden. Kanadas Erdgasfelder liegen vor allem im Westen, die Transportwege sind weit und der Pipelinebau ist umstritten.

"Partner der Wahl"

Eine kurzfristige und direkte Hilfe für Deutschland kann kanadisches LNG also nicht sein. Aber der Kanzler und der Premierminister machten deutlich, dass Kanada mit seiner Lieferung über das Terminal an der Westküste ebenfalls die Erdgasmenge, die auf dem Weltmarkt zur Verfügung steht, vergrößert und damit ebenfalls Deutschland hilft. Denn dadurch könnten Erdgasmengen auf dem Weltmarkt frei werden, die dann nach Deutschland kommen könnten. Zudem fließt kanadisches Erdgas in die USA und ist Teil der Gasexporte der USA nach Europa.

Ob der Bau eines Exportterminals angesichts der Kosten und des geplanten Umstiegs auf Wasserstoff wirtschaftlich rentabel ist, müssen die beteiligten Unternehmen entscheiden. Auf der Wirtschaftskonferenz in Toronto betonte Scholz allerdings, Kanada sei Deutschlands „Partner der Wahl“ bei der Abkoppelung von russischer Energie. „Vorübergehend bedeutet dies, unsere Flüssiggasimporte zu erhöhen. Wir hoffen, dass kanadisches Flüssigerdgas dabei eine wichtige Rolle spielen wird.“

Die deutsche Industrie braucht Seltene Erden

Neben Wasserstoff und Erdgas sind die sogenannten kritischen Mineralien und Metalle ein bedeutender Teil der engeren Kooperation. Kanada besitzt viele wichtige Rohstoffe wie Lithium, Kobalt oder Seltene Erden, die die deutsche Industrie braucht. Kanada soll nun helfen, Deutschland aus der Abhängigkeit von Ländern wie China zu befreien. Offenbar ist das Interesse der deutschen Industrie groß. Aber schon seit Jahren ist von diesem Schwenk die Rede, getan hat sich wenig. Nun ist die Hoffnung der Politik, dass die Industrie mitzieht. Vorreiter können VW und Mercedes sein, die in Toronto Vereinbarungen unterzeichneten. Beide wollen ihre Zusammenarbeit mit Kanada bei der Herstellung von Elektrofahrzeugen und der Batterieproduktion verstärken, wozu auch die Entwicklung einer Lieferkette für die dafür kritischen Mineralien gehört.

An den beiden Regierungschefs soll es nicht liegen, das wollten sie deutlich machen. Dass Trudeau den Bundeskanzler auf der Reise seit Sonntagabend begleitete und mit ihm in Montreal, Toronto und Stephenville auftrat, wird in Kanada als bemerkenswertes Zeichen hoher Wertschätzung gesehen. Umgekehrt sind drei Tage, die Scholz für seinen Antrittsbesuch in Kanada einplante, ebenfalls bemerkenswert. Als Trudeau am Montagabend in Toronto ausdrücklich darauf hinwies, dass Scholz „nicht auf dem Weg nach oder von Washington“, sondern ausschließlich nach Kanada kam, löste beim offiziellen Dinner lauten Beifall der geladenen Gäste aus Politik und Wirtschaft aus. Scholz bedankte sich: „Ich bin froh hier zu sein unter Freunden.“

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