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Politik: "Die Alternative wird Eskalation heißen"

BONN .Von "Optimismus" mag ein deutscher Diplomat noch nicht reden.

Von Robert Birnbaum

BONN .Von "Optimismus" mag ein deutscher Diplomat noch nicht reden.Aber zum ersten Mal seit Beginn des Kosovo-Kriegs macht sich im Bonner Regierungsapparat vorsichtig das Gefühl breit, daß die Führung in Belgrad im Ernst einlenken könnte - und nicht, wie bisher, nur taktische Spielchen mit angeblichen Teilabzügen und Feuerpausen treibt."Wir haben das Gefühl, da passiert jetzt was", sagt der Diplomat.Auch öffentlich sind ähnliche Töne zu vernehmen: Die Kosovo-Diplomatie stecke in der "entscheidenden Phase", sagte Außenminister Joschka Fischer am Dienstag bei einer Europa-Konferenz in Berlin.Eine Feuerpause sei "zum Greifen nahe", assistierte Fischers Staatssekretär Wolfgang Ischinger bei einem Besuch in Kiew.

Diese Einschätzung stützt sich nach Auskunft guter Kenner der vielfältigen Friedensbemühungen auf vier Faktoren: Die politische und die militärische Lage, die Signale aus Jugoslawien und den Terminkalender.

Die politische Lage hat sich aus der Sicht des Westens günstiger entwickelt als noch vor wenigen Wochen befürchtet.Wenn Milosevic gehofft haben sollte, er könne die Staaten der Region destabilisieren und so neues Chaos zu seinen Gunsten stiften, sehe er sich getäuscht: Die Lage in Albanien, Mazedonien und den anderen Nachbarstaaten sei schwierig, aber nicht kritisch; die Teilrepublik Montenegro mit ihrer Belgrad-kritischen Führung sei allen gelegentlichen Putschgerüchten zum Trotz stabil.Zugleich hätten sich die Nato-Regierungen bisher bemerkenswert geschlossen gezeigt, und auch die Bürger stünden bei allen Zweifeln und kritischen Fragen doch im großen und ganzen weiter hinter dem Kurs ihrer Regierungen.

Auch die militärische Lage werten Bonner Regierungsinsider günstiger als öffentlich wahrgenommen werde."Die Situation der jugoslawischen Armee ist in der Tat schlecht", sagt einer.Zwar sehen die Militärs keinerlei Anzeichen für einen Rückzug der Armee aus dem Kosovo.Aber daß sowohl die Motivation als auch die Fähigkeiten abnehmen, die Untergrundkämpfer der kosovo-albanischen UCK zu bekämpfen, sei erkennbar; mit der Folge, daß die UCK trotz weiterhin schlechter Bewaffnung und Ausbildung etwas mehr Bewegungsspielraum erhalte.Mehr als 300 gepanzerte Fahrzeuge hat die Nato nach eigener Rechnung zerstört; für die verbleibenden werde mancherorts schon der Treibstoff knapp.Was es für die Motivation einer Wehrpflicht-Armee bedeute, "in Löchern zu hocken und zu hoffen, daß sie von oben keiner trifft", könne sich jeder ausmalen.

Vor diesem Hintergrund registrieren die westlichen Kosovo-Diplomaten eine auffällige Häufung von Signalen aus Belgrad.Seit vorigem Freitag, sagt ein Kenner, mehrten sich die Hinweise, daß eine Wende eintreten könnte.Vorher habe Milosevic ganz offensichtlich das sattsam bekannte politische Spiel mit Lockangeboten aller Art gespielt.Jetzt kämen in immer kürzeren Intervallen Signale, daß man ernsthaft reden wolle.Zwar gilt die derzeitige Belgrader Position, in einem am Dienstag in Bonn eingegangenen Brief des jugoslawischen Außenministers Zivadin Jovanovic an Fischer dargelegt, noch nicht als akzeptabel: Belgrad erkennt darin abstrakt die Prinzipien der G 8 an.Andere Stimmen aus Belgrad stellen aber wieder Bedingungen, die für den Westen nicht hinnehmbar sind: Keine Friedenstruppe unter Nato-Kommando, keine Beteiligung von Kombattantenstaaten, kein völliger Abzug der jugoslawischen Streitkräfte.

Daß es gleichwohl einen Durchbruch geben könnte, erhoffen sich Diplomaten beim Blick in den Terminkalender.Am heutigen Mittwoch soll zum ersten Mal der EU-Vermittler, der finnische Präsident Maarti Ahtisaari, mit Milosevic sprechen.Ihn soll der russische Sondergesandte Viktor Tschernomyrdin begleiten.Beide wollten am Vorabend in Bonn ihre Mission vorbereiten - Tschernomyrdin mit einem neuen Friedensplan im Gepäck, dessen Details zunächst unbekannt blieben.Daß Ahtisaari und Tschernomyrdin schon eine Lösung aus Belgrad mitbringen, gilt eher als unwahrscheinlich.Doch spätestens beim Gipfel der sieben führenden westlichen Industriestaaten und Rußlands (G 8) Ende Juni in Köln geraten der Westen wie Rußland unter einen gewissen Zugzwang.Wenn die jetzigen Bemühungen scheiterten, sagt Fischer denn auch, "wird die Alternative Eskalation heißen".Das mag vorerst nur eine Drohgebärde sein.Nur, sagt ein Diplomat: Niemand solle glauben, daß jemand wie Bill Clinton mit leeren Händen vom G-8-Gipfel heimkehren wolle.

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