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Politik: Die Dollar-Bombe

Amerikas Abstieg zum weltgrößten Schuldner wird zur Gefahr für die Weltwirtschaft: Chinas Regenten haben es in der Hand, ob der Greenback abstürzt

Mit diesem Kunden arbeitet jede Bank gerne. Er ist extrem vermögend und hortet Geld, Gold und Wertpapiere in aller Welt. Zuweilen übermittelt er Aufträge noch etwas altmodisch per Telex. Aber er lässt auch Milliardensummen monatelang auf kaum verzinsten Geldkonten liegen, mit denen die begünstigte Bank dafür umso besser verdient. „Das ist einer der größten Player im Markt“, schwärmt Thorsten Schweigert, Direktor der zuständigen Abteilung der Deutschen Bank. 20 Finanzinstitute seien weltweit für diesen Auftraggeber im Einsatz. Der betreibe „eine Akkumulation von Geldreserven“, so Schweigert, „die ist sensationell“.

Die Sensation hat ihren Ursprung in Peking, und der gefragte Großkunde ist die Zentralbank der Volksrepublik China. Die Währungshüter aus dem Reich der Mitte haben in den vergangenen fünf Jahren einen riesigen Schatz an Devisenreserven angehäuft. Schon fast 500 Milliarden Dollar, großteils angelegt in amerikanischen Staatsanleihen, haben Chinas Wirtschaftslenker auf Dutzenden Konten in New York, Tokio und Frankfurt geparkt. Und jeden Monat werden es ein paar Milliarden mehr.

Der anschwellende chinesische Dollarberg ist Ausdruck einer weltwirtschaftlichen Konstellation, wie es sie noch nie gab: Die Vereinigten Staaten haben sich auf Gedeih und Verderb in eine gegenseitige Abhängigkeit mit ihrem ärgsten Rivalen verstrickt, dem noch immer von einer kommunistischen Partei regierten China. Würde Notenbankchef Zhou Xiaochuan morgen seine Mitarbeiter anweisen, alle Dollarpapiere auf den Markt zu werfen, würde dies Amerika unvermeidlich in eine tiefe Wirtschaftskrise stürzen. Ein Absturz des Dollarkurses würde mit drastisch steigenden Zinsen einhergehen. Zig Millionen hoch verschuldeter Amerikaner müssten plötzlich sparen. „Die Chinesen halten eine finanzpolitische Bombe in Händen“, konstatiert Heribert Dieter, Finanzmarktexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Amerika sei „erpressbar geworden“.

Wichtigste Ursache für diese verblüffende Entwicklung ist der Abstieg der USA zum weltgrößten Schuldnerland. Seit nunmehr 15 Jahren importieren die Amerikaner mehr Güter und Dienstleistungen, als sie ihrerseits in andere Länder exportieren. In diesem Jahr wird dieses so genannte Leistungsbilanzdefizit schon fast sechs Prozent der US-Wirtschaftsleistung betragen. Eine Nation, die derart über ihre Verhältnisse lebt, ist zwangsläufig auf Kapitalzuflüsse aus dem Ausland angewiesen. Unweigerlich geraten die USA darum gegenüber dem Rest der Welt immer tiefer in die Kreide. Netto, also nach Abzug amerikanischer Investitionen im Ausland, stand Amerika im Jahr 1997 mit nur 360 Milliarden Dollar in den Miesen. Heute, sieben Jahre später, beträgt die Außenschuld jedoch bereits 3,2 Billionen Dollar. Das entspricht einem Viertel der amerikanischen Wirtschaftsleistung (siehe Grafik).

Wollte man diese Verpflichtungen tilgen, müssten knapp drei Jahre lang sämtliche Exporterlöse der US-Wirtschaft dafür aufgewendet werden – ein Verhältnis von Schulden zu Exporteinnahmen wie im notorisch überschuldeten Brasilien. Mittlerweile benötigt die US-Ökonomie jeden Tag 1,8 Milliarden Dollar Auslandskapital, nur um das derzeitige Konsumniveau zu halten. Die Vereinigten Staaten „gleichen einem sehr großen lateinamerikanischen Schuldenstaat“ spottete darum sogar die „Financial Times“.

All das galt unter Ökonomen aller Couleur lange nicht als Problem. Denn anders als die Krisenstaaten im Süden des Kontinents genießen die USA als Heimatland der globalen Leitwährung das Privileg, sich in der eigenen Währung verschulden zu können und darum den Wechselkurs nicht fürchten zu müssen. Zudem haben private Anleger aus aller Welt die ganzen 90er Jahre hindurch nur zu gern ihr Geld in Amerika angelegt, um am dortigen Boom teilzuhaben. Seinerzeit war auch der Staatshaushalt ausgeglichen, der Kapitalzufluss diente überwiegend der Finanzierung von Investitionen. „Der Markt“ steuere das Leistungsbilanzdefizit und den Dollarkurs, beteuerten die Finanzminister der Clinton-Ära darum stets und sahen keinen Handlungsbedarf.

Doch von dieser heilen Welt ist heute nichts mehr übrig. Nach dem Platzen der Börsenblase haben sowohl die Notenbank Federal Reserve als auch die Bush-Regierung alle Schleusen geöffnet. Niedrige Zinsen und große Steuersenkungen fluteten den Markt mit billigen Dollars, die drohende Rezession konnte abgewendet werden. Doch der Preis dafür war hoch: Die Minizinsen lockten die Bürger noch tiefer in die Verschuldung, Amerikas private Sparquote liegt nahe bei null. Zur Finanzierung von Investitionen und Staatsschulden steht praktisch kein inländisches Kapital zur Verfügung.

Gleichzeitig hat die Bush-Politik zusätzlich ein tiefes Loch in die Staatsfinanzen gerissen. Allein die Kriege im Irak und in Afghanistan haben die Militärausgaben um mehr als 100 Milliarden Dollar im Jahr erhöht, noch teurer waren die Steuergeschenke. Mit über 400 Milliarden Dollar jährlicher Neuverschuldung bewegt sich darum auch die US-Regierung weit jenseits der Maastrichtgrenze und bezahlt das – anders als die Bundesregierung – mit Krediten aus dem Ausland. Private Geldgeber gibt es für diese Politik allerdings nur wenige. Wo es marktwirtschaftlich zugeht, bricht darum der Dollarkurs ein. Dass der Euro in den vergangenen drei Jahren gegenüber der US-Währung 46 Prozent an Wert gewonnen hat, ist denn auch keineswegs das Werk böser Spekulanten. Amerika konsumiert mehr, als seine Wirtschaft leistet, und aus dem Euroraum will niemand das Defizit finanzieren, folglich verfällt die amerikanische Währung.

Doch das Verblüffende ist: Für die US-Wirtschaft ist das weitgehend folgenlos. Kein Zinsschock zwingt Amerika zum Sparen. Immobilienkredite und Staatsschulden sind noch immer billig. Der Import von Konsumgütern brummt wie zuvor. Denn Amerika hat andere potente Geldgeber gefunden. Statt der unsichtbaren Hand des Marktes hat die sichtbare Hand der ostasiatischen Regierungen die Regie im globalen Dollarthriller übernommen, allen voran das Regime in Peking. Denn das wichtigste Anliegen der chinesischen Wirtschaftspolitik ist das Wachstum der Exportindustrie. Abermillionen billiger Arbeitskräfte strömen in die Städte, und bisher reichte die Binnennachfrage nicht aus, um für die Landflüchtigen genügend Jobs zu schaffen, von denen mindestens 10 Millionen jährlich zusätzlich benötigt werden. Darum hält die Regierung von Parteichef Wen Jiabao eisern an der Dollarbindung des chinesischen Yuan fest: 8,78 Yuan bringt ein Greenback in China, und das seit neun Jahren. So bleiben Chinas Waren in Amerika billig, obwohl das Land im Handel mit den USA riesige Überschüsse erzielt.

Die Exportförderung durch Währungsdumping kommt China allerdings teuer zu stehen: Die Zentralbank muss alle überschüssigen Dollars kaufen und in Amerika anlegen, obwohl sie dort kaum Zinsgewinne erwirtschaftet. De facto subventioniert so ausgrechnet der US-Rivale China Amerikas Kriege mit milliardenschweren Billigkrediten.

Gleichzeitig setzt Peking mit seiner Dollarpolitik den Takt für die gesamte Region. Um gegenüber dem Giganten in ihrer Mitte nicht zurückzufallen,schützen die Regierungen von Japan bis Malaysia ihre Währungen vor Aufwertung, indem sie ebenfalls einige hundert Milliarden Dollar jährlich in US-Papieren anlegen. Das Ergebnis dieser wilden Kombination von amerikanischem Konsumrausch und asiatischem Exportwahn enthüllte jetzt ein Bericht der Federal Reserve: Schon im Jahr 2003 kauften ausländische, überwiegend asiatische Notenbanken für 441 Milliarden Dollar US-Wertpapiere und finanzierten damit vier Fünftel des gesamten Außenhandelsdefizits der USA. Folglich liegt das Schicksal der US-Ökonomie und damit letztlich auch der Weltwirtschaft nunmehr in der Hand der Regierungen Ostasiens – ein Umstand, den viele Fachleute als höchst riskant ansehen. So sprach Fred Bergsten, Direktor des renommierten Institute for International Economics, von einem „Desaster in the Making“. Kenneth Rogoff, ehedem Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF), warnte vor einem möglichen Absturz in Inflation und Stagnation wie in den 70ern des 20. Jahrhunderts. Martin Wolf, Kolumnist der Financial Times mit Weltruf, schrieb gar, Amerika befinde sich „auf dem Weg in den Ruin“ und riskiere die globale Rolle seiner Währung. Und Lawrence Summers, bis 1999 Finanzminister der Clinton-Administration, sprach aus, was sein Nachfolger John Snow tunlichst verschweigt: „Um die Energieabhängigkeit Amerikas vom Ausland wird viel Wind gemacht, aber die Abhängigkeit vom ausländischen Geld ist viel bedrückender.“

Noch gibt es keinen Grund zur Panik. Noch fährt der asiatische Geleitzug für Amerikas Finanzen. Und auch Mahner wie Summers erkennen an, dass die Regenten in Peking kein Interesse haben, ihren wichtigsten Absatzmarkt mit einem Dollar-Crash zu versperren. Insofern beruhe die Stabilität vorerst auf einem „Gleichgewicht des finanziellen Terrors“, formulierte Summers in Anlehnung an das Gleichgewicht der nuklearen Abschreckung im Kalten Krieg. Gleich, ob im Streit um Taiwan oder in Handelskonflikten, beide Seiten sind zum Stillhalten verdammt. Doch fraglich ist, wie lange das Gleichgewicht hält. Nach Meinung des New Yorker Makroökonomen Nouriel Roubini ist das derzeitige Währungsregime nicht nur wegen der US-Schuldenexplosion instabil. Zudem führe das asiatische Währungsdumping

– zu einer überzogenen Aufwertung des Euro, verdränge Europas Unternehmen von den Märkten und provoziere Abwehrmaßnahmen der EU ;

– und zur Aufblähung der Geldmenge in China, weil für die Dollarkäufe zu viele Yuan in Umlauf gesetzt werden. Die Geldschwemme erzeuge Fehlinvestitionen und eine Immobilienblase, typische Vorboten einer goßen Anpassungskrise.

Vor allem der Kollateralschaden in Europa provoziert Streit. Zwar könnte die Europäische Zentralbank (EZB) einfach ihrerseits mit Milliardeninterventionen den Euro billig machen. Auf diesem Weg würden alle Industrienationen gemeinsam „in Amerika ihren Joe Sixpack als Konsumenten bei Laune halten“, empfiehlt Jesper Koll, Chefökonom für Asien der Investmentbank Morgan Stanley. Wenn die Welt sich einig sei, könne Amerikas Defizit gut doppelt so groß werden.

Doch diesen Bruch mit ihrer Marktphilosophie werden Europas konservative Notenbanker vermutlich verweigern. EZB-Chef Jean-Claude Trichet hat schon angedeutet, wie er sich die Lösung des Problems vorstellt. „Wir haben eine einheitliche Meinung, dass die Ersparnis in den USA zu gering ist“, erklärte er vorvergangene Woche. Im Klartext: Die US-Regierung möge ihre Defizite mindern und die privaten Haushalte zum Sparen anhalten, um die Flucht aus dem Dollar zu stoppen.

Genauso argumentiert auch der wachsende Chor der Warner in Amerika. „Die Frage ist nicht, ob das US-Defizit abgebaut wird, sondern wann und wie diese Anpassung stattfindet“, schrieb kürzlich der IWF in seinem Jahresbericht. Ginge es nach Mahnern wie Summers oder Roubini, dann würden Chinesen, Japaner, Europäer und Amerikaner gemeinsam eine langsame Korrektur des bedrohlichen Ungleichgewichts betreiben. Die Asiaten würden ihre Währungen aufwerten, die US-Regierung das Staatsdefizit zurückfahren und die Zinsen anheben, Europa dagegen die Nachfrage mit Niedrigzinsen und Konjunkturprogrammen stimulieren, um Kaufkraft für US-Exporte zu schaffen.

Doch ein solches Szenario ist höchst unwahrscheinlich, weil alle Beteiligten eisern an ihrem bisherigen Kurs festhalten. So spricht vieles dafür, dass die Dollar-Bombe irgendwann ohne Vorwarung hochgeht, etwa wenn Chinas Turbowachstum wegen allzu vieler Fehlinvestitionen in sich zusammenfällt und Peking sich die teuren Dollarkäufe nicht mehr leisten will. „In Wahrheit weiß niemand, ob und wann das passiert und was die Folgen sein werden“, gesteht Jesper Koll, der langjährige Kenner der asiatischen Finanzmärkte. Aber eine andere merkwürdige Erfahrung, so Koll, biete vielleicht einen Anhaltspunkt, wann es so weit sein könnte. Immer wenn die Olympischen Spiele in Asien stattfanden, sei es bisher zwei Jahre zuvor im betroffenen Land zum Crash gekommen. Nächster Gastgeber für Olympia ist China im Jahr 2008.

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