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Politik: Die Ersten im Besenwagen

Von Axel Vornbäumen

Es ist sehr erniedrigend, Doping zu nehmen“, hat Rolf Aldag, Sportdirektor beim Team T-Mobile, am Donnerstag auf einer Pressekonferenz in Bonn gesagt – Aldag hat aus eigener Erfahrung gesprochen. Minuten später nur hat Erik Zabel, Rennfahrer aus Leidenschaft, für sich die Sinnfrage gestellt, unter Tränen. Auch Zabel, noch aktiv und über Jahre hinweg hinter Jan Ullrich die Nummer zwei des deutschen Radsports, hat gedopt. Die Lebenslügen zweier Hochleistungssportler sind hier plötzlich auf den Tisch gekommen, die Bekenntnisse zweier Stars, die lange schon wussten, dass sie ohne das eine nicht zum anderen hätten werden können.

Ja, eine denkwürdige Stunde war das, die alle Chancen hat, in die Sportgeschichte einzugehen; nein, nicht als Stunde null einer in Verruf geratenen Sportart, so naiv muss keiner sein. Aber mit ein wenig Glück und gutem Willen könnte es eine Zäsur werden im Radsport, ein Etappensieg der Wahrnehmung. Eine Zeit lang besteht die Chance, dass das von den übermenschlichen Leistungen angefixte Publikum am Wegesrand und vor den Fernsehschirmen im Hauptfeld den Ehrlichen (an-)erkennt und nicht den Dummen. Nun muss diese Chance genutzt werden, dass der Ehrliche auch mal wieder Gelegenheit hat, als Erster im Ziel anzukommen.

Denn wenn man Aldags erschütternden Satz richtig liest, bedeutet er: Damals saß ich im Sattel und konnte nicht anders! Der über das menschliche Leistungsvermögen hochgezüchtete Mikrokosmos Profi-Radsport hat seinen heimlichen Tribut gefordert, über jegliche Grenze der Selbstachtung hinaus. Es ist das Jobprofil einer Berufsgruppe mit Halbwelt-Anmutung, das da gezeichnet wird.

Wenn nun das große Reinemachen im Radsport einsetzt, dann nur, weil erste Selbstreinigungskräfte zu wirken beginnen. Noch ist es vornehmlich der Dreck aus der Vergangenheit, der gerade an die Oberfläche gekehrt wird, schon weniger der aus der Gegenwart.

Wie, ist da keiner mehr?

Die Stunde der geständigen Radsportstars darf deshalb nur der Prolog gewesen sein. Denn der willigen Helfer sind viele. Ärzte, Pfleger, Betreuer, Sponsoren – und die Medien, auch die. Nicht alle haben den Radlern dabei assistiert, ihre Spritzen zu setzen, aber viele haben ein Auge zugedrückt oder geflissentlich weggeschaut. Wenn nun – nach Jahren des kollektiven Beschweigens – ausgerechnet in dem Moment, in dem die Radsportler zu reden beginnen, eine Debatte darüber geführt wird, ob die Öffentlich-Rechtlichen aus der Berichterstattung über die Tour de France aussteigen sollen, dann ist das nicht allein der untaugliche Versuch einer symbolischen Abstrafaktion, es ist auch ein Ablenkungsmanöver von der eigenen Unzulänglichkeit. Jahrelang wurde übertragen für alle, die es nicht so genau wissen wollten.

Für die Sponsoren gilt ganz Ähnliches. Jahrelang wurde Geld gegeben – und ob man es wirklich so genau hat wissen wollen, sei dahingestellt. Wenn aber auch der auf der symbolischen Ebene wichtige Kampf gegen das Doping gewonnen werden soll, dann sollte das Engagement für den sauberen Radsport nicht just in der Stunde erster Reinigungsarbeiten eingestellt werden.

Bei der Tour gehört die erste Woche traditionell den Sprintern, auch den Wasserträgern. Erst dann geht es in die Berge, kommt die Stunde der Kapitäne. Nach einer Woche der Bekenntnisse hat noch nicht jeder erkannt, wem die Stunde schlägt.

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