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Politik: Die Familie in Serbien, der Gott in Indiana

Amerikaner vor der Wahl: Eine Illegale hofft auf ein besseres Leben, eine Demokratin kämpft um jede Stimme und religiöse Rechte fürchten höhere Steuern

Es ist ungewöhnlich kalt für einen Oktober in New York. Milka Janic steht am Bahnsteig in Queens und wartet auf die U-Bahn nach Manhattan. Sie ist 27 Jahre alt und arbeitet als Arzthelferin in der Upper East Side. Dort verdient sie fünf Mal mehr als in ihrem Heimatland Serbien. Die Hälfte ihres Lohns braucht sie für die kleine Einzimmerwohnung in Queens. Sie sagt, sie zahle regelmäßig ihre Steuern, sie hat einen US-Führerschein und einen amerikanischen Freund.

Doch eigentlich darf sich Milka Janic – dieser Name ist nicht ihr echter – gar nicht in Amerika aufhalten. Vor fünf Jahren reiste sie mit einem Touristenvisum ein. Sie entschied sich zu bleiben, kurz bevor das 90-Tage-Visum ablief. Weil es in den USA keinen Abgleich zwischen Einwohner- und Finanzamtsdaten gibt, zahlt sie Steuern wie ein US-Bürger, ihr Aufenthaltsstatus bleibt aber illegal. Sie könnte jederzeit ausgewiesen werden. Mindestens 15 Millionen Menschen in den USA leben wie sie – das sind knapp fünf Prozent der Bevölkerung.

Wollte sie nach Europa, dort ihre Familie besuchen, dürfte sie nicht mehr zurück. Es sei ganz wichtig für sie, wer nächster Präsident werde, sagt Milka Janic. „Ich hoffe, dass es Obama wird. Vielleicht habe ich dann die Chance auf eine Legalisierung. Das Leben ist hart in New York. Aber ich möchte hier bleiben. Gleichzeitig möchte ich meine Familie wiedersehen können.“ Tatsächlich will Barack Obama den Einwanderern mit illegalem Status in den USA entgegenkommen und ihnen gegen Zahlung eines Bußgelds einen rechtmäßigen Aufenthaltsstatus zubilligen – so steht es in seinem Wahlprogramm. Auch John McCain hat Ähnliches versprochen. „Aber McCain glaube ich nicht. Und seine Vorstellung von Amerika mag ich nicht“, sagt Milka. Vor vier Wochen hat sie per Internet 50 Dollar an die Wahlkampagne von Barack Obama überwiesen. Sie wisse von ihren Eltern, dass sie die Nacht der Präsidentenwahl am 4. November in Serbien vor dem Fernseher verbringen wollen. „Sie möchten so gerne, dass ich sie wieder mal besuchen kann. Sie können nicht einfach hierherkommen. Sie hoffen auf einen Sieg von Obama.“

4000 Kilometer von New York entfernt, in Los Angeles, hat Antonia Reed einen Klapptisch aufgestellt – für das Ziel, ein besseres Amerika zu schaffen. Der Bürgersteig ist staubig, es ist laut. Vier Stunden sitzt die 65-Jährige schon da, am Tisch hat sie ein selbst gemaltes Pappschild befestigt. „Voter Registration here“. Vor sich hat sie einen Stapel mit grün umrandeten Formularen liegen. Heute sei kein guter Tag gewesen, sagt sie. „Ich habe jetzt erst 15 ausgefüllte Formulare. Und bald holt mich mein Mann wieder ab.“ Gerade hat sie einer Frau mit Hispanics-Abstammung in gebrochenem Spanisch die Prozedur erklärt.

Es ist kompliziert, in den USA zu wählen. Weil es kein Meldesystem gibt, gibt es kein Anschreiben der Behörden. Jeder, der abstimmen will, muss ein Formular ausfüllen. Ein örtliches Wahlkomitee, dem Vertreter von Republikanern und Demokraten angehören, prüft die Formulare anschließend auf Widersprüche. Das ist ein fast unmöglicher Akt, denn außer der Führerscheindatei des jeweiligen Bundesstaats gibt es kaum Vergleichsdaten. Die amerikanischen Behörden wissen in der Regel nicht, wo Amerikas Bürger wohnen. Es sei deshalb nicht vollständig auszuschließen, dass sich einzelne Bürger in zwei Staaten registrieren könnten und dort wählen, sagen Kenner des US-Wahlsystems.

„Ich hatte heute mit mehr Leuten gerechnet“, sagt Antonia Reed. „Aber viele haben sich schon Anfang des Jahres für die Vorwahlen registriert. Sie müssen sich in Kalifornien für die Präsidentenwahl nicht ein zweites Mal registrieren.“ Seit 1980 ist Reed Mitglied der Demokraten. Die Formulare gibt sie an das örtliche, überparteiliche Wahlkomitee weiter. „Ich möchte hier nicht nur Wähler der Demokraten registrieren. Mir geht es darum, dass so viele Menschen wie möglich zur Wahl gehen. Ich persönlich finde allerdings, dass es nach dem Desaster der Bush-Jahre einen Neustart geben muss.

Von ihrem Tisch aus spricht Antonia Reed Passanten an, zum Beispiel eine junge Frau. Die bleibt kurz stehen und sagt dann: „Sorry, ich bin eine Konservative.“ „Aber selbst viele Konservative sind der Ansicht, dass die Jahre unter Bush eine Katastrophe waren. Überlegen Sie es sich doch mal“, entgegnet Antonia Reed. „Ja, aber ich werde keinen Präsidenten wählen, der Abtreibungen befürwortet.“ „Aber schauen sie sich das an: Unter Bush ist die Zahl der Abtreibungen gegenüber der Zeit von Clinton dramatisch gestiegen.“ Die junge Frau wird wütend: „Das ist wirklich zu viel. Sie können Bush nicht für Abtreibungen verantwortlich machen.“ Sie dreht sich um und geht.

Bis es Sarah Palin vor drei Wochen ansprach, hat das Abtreibungsthema im Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt. Bei den Menschen, die jetzt in den Nebenraum der „Church of God“ in Metamora (Indiana) gekommen sind, dagegen schon. Das Gebäude besteht aus zwei niedrigen Hallen, in der einen ist der Kirchenraum untergebracht, in der anderen hängen Basketballkörbe an den Wänden. An diesem Samstag wird Erntedankfest gefeiert. Vor drei Jahren haben sie die neue Kirche eingeweiht. Wer Mitglied ist, zahlt jeden Monat zehn Prozent seines Einkommens an die Gemeinde. „Weil es so in der Bibel steht“, sagt Wayne Ison, der Pastor für die rund 400 Gläubigen. Jeden Sonntag kämen 300 von ihnen in die Kirche. „Ich habe in der Kirche noch nie für einen Kandidaten gepredigt. Aber die Leute hier wissen sowieso, wen sie wählen wollen.“

In der Basketballhalle haben die Frauen der Gemeinde ein Buffet aufgebaut, es gibt Chicken Wings, Kartoffelbrei und Cheeseburger. Zuerst wird gegessen, danach holen die Kirchenmitglieder ihre Schrotflinten aus dem Kofferraum, um auf orangefarbene Plastikgeschosse zu zielen. Auch der zwölfjährige Neffe von Wayne Ison bekommt ein Gewehr. Besucher werden sehr herzlich empfangen. „Passen sie auf, dass sie genug essen“, ruft eine der Gemeindefrauen in den Raum. Viele der Männer, die älter als 40 sind, versuchen sich mit ein paar Worten Deutsch. Sie waren in den 80ern für die Army in Gießen oder Stuttgart stationiert, Kalifornien aber kennen die meisten nur aus dem Fernsehen. „Die Leute hier arbeiten hart für ihr Geld“, sagt Bob Vohland, der zum Vorstand der Kirche gehört. „Sie haben kleine Betriebe oder sie sind Bauern.“ Merken sie hier etwas von der Finanzkrise? „Wir zum Beispiel haben unser Haus längst abbezahlt. Die Leute hier leben nicht so sehr auf Kredit. Das einzige was ich fürchte ist, dass die Demokraten die Steuern erhöhen. 80 Prozent der Arbeitsplätze in Amerika hat der Mittelstand geschaffen. Das darf nicht beschädigt werden.“ „In God We Trust“, wir vertrauen auf Gott, haben die Menschen hier auf ihren Autoschildern stehen.

www.tagesspiegel.de/us-wahl

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