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Politik: Die Fischer-Automatik

Der Außenminister gibt der Irak-Debatte eine neue Richtung: Er bezweifelt, dass ein Kriegsmandat erforderlich ist

In der politisch wie rechtlich verworrenen Debatte über deutsche Hilfe für die USA im Falle eines Irak-Krieges war der Dienstag der Tag der unerwarteten Kurskorrekturen. Außenminister Joschka Fischer hat nun erstmals eingeräumt, dass Washington mit seiner Ansicht, die UN-Resolution 1441 reiche als Rechtfertigung für einen Militärschlag aus, vielleicht doch Recht haben könnte. „Es ist die Frage, ob für ein militärisches Vorgehen eine zweite Resolution erforderlich ist“, sagte Fischer in Brüssel. Die Resolution 1441 sei in dieser Hinsicht „unentschieden“.

Bislang hatten Berlin und Paris stets bekundet, es sei ein Triumph europäischer Diplomatie gewesen, die Bush-Regierung erst zur multilateralen Abstimmung ihres Vorgehens in den Vereinten Nationen zu drängen und dann durch 1441 einen „Automatismus“ der Gewalt verhindert zu haben. Die USA hatten dagegen sofort nach der Verabschiedung von 1441 am 8. November bekräftigt, der einstimmige Beschluss der Weltorganisation sei eine ausreichende Ermächtigung zum Einsatz von Waffengewalt. „Nichts in diesem Beschluss hindert ein Land, den Willen des Sicherheitsrats mit Gewalt durchzusetzen, wenn die UN selbst dies nicht tut“, hatte US-Botschafter John Negroponte damals gesagt.

Die deutsche Debatte hat eine inhaltliche und eine formale Seite. Inhaltlich streiten die rot-grünen Koalitionäre darüber, ob sie die eine oder andere Hilfestellung für die USA – Überflugrechte, die Nutzung von Basen, Transitrechte, Awacs-Überwachungsflüge – explizit von der Verabschiedung eines zweiten Mandates abhängig machen sollen. Die Grünen bejahen dies. Da diese Debatte aber unbequem ist, verlegen sich mehr und mehr Regierungsspitzen auf ein formales Argument: Es sei jetzt nicht an der Zeit, alle Eventualfälle eines Irak-Krieges durchzuspielen; es gebe keinen Anlass, über die Option eines US-Alleingangs ohne eindeutige Kriegsermächtigung aus New York auch nur zu spekulieren. Grundlage aller Zusagen sei 1441, also der Gang über die UN.

Fischer hat nun am Dienstag vor einer „Debatte von gestern“ gewarnt, also der fortgesetzten Diskussion über einen US-Alleingang. Damit rügte der Minister indes auch jene Beschlussfassung als „theoretisch“, die seine eigene Partei erst am Wochenende getroffen hatte. Da hatten die Grünen beschlossen, den USA ohne neues Mandat jede Hilfe zu verweigern. Die neue Grünen-Chefin Angelika Beer hatte am Montag deutlich gemacht, dass auch der Umkehrschluss gelte: Dass Deutschland den USA beim Vorliegen einer New Yorker Ermächtigung vielerlei Hilfe gewähren müsse.

Was SPD-Generalsekretär Olaf Scholz am Montag angedeutet hatte, verstärkte indes der sozialdemokratische Vizefraktionschef und Außenpolitik-Sprecher Gernot Erler am Dienstag. Überflugrechte erhalte Amerika „auf jeden Fall“, so Erler: „Das ist schon zugesagt worden, das ist schon verbindlich.“

So streitet sich Rot-Grün darüber, ob Hilfe für die USA an ein neues Mandat gekoppelt werden sollte, darüber, ob man diese Debatte jetzt sinnvollerweise überhaupt führen muss - und seit Dienstag auch darüber, ob es eines neuen Mandates als Grundlage für einen Waffengang überhaupt bedarf. Wenn Fischer andeutet, die letzte Frage könne man auch mit Nein beantworten, so bereitet er Deutschland wohl auf den wahrscheinlichsten aller Fälle vor. Und Erler darauf, was das für Berlin bedeutet.

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