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Politik: Die Franzosen sagen Nein zu Europa

Rund 56 Prozent lehnen die EU-Verfassung ab Schwere Niederlage für Präsident Chirac

Die Franzosen haben bei der Volksabstimmung über die EUVerfassung am Sonntag mehrheitlich mit Nein gestimmt. Nach den vom Innenministerium am späten Abend vorgelegten Ergebnissen sagten gut 56 Prozent „Non“ und lediglich knapp 44 Prozent „Oui". Die Beteiligung lag bei etwa 70 Prozent.

Das Votum ist eine schwere Niederlage vor allem für Staatspräsident Jacques Chirac und die konservative Regierung unter Premier Jean-Pierre Raffarin, die für ein Ja geworben hatten. Chirac erklärte in einer kurzen Ansprache, er akzeptiere die „demokratische, souveräne Entscheidung“. Er betonte, Frankreich bleibe „selbstverständlich auch nach dem Nein-Votum“ in der EU. Man dürfe allerdings nicht vergessen, dass die Ablehnung der Verfassung durch Frankreich „schwierige Umstände" schaffe. Er versprach, innenpolitisch „umgehend zu handeln“, weil die Franzosen mit ihrem Votum letztlich „ihre Sorgen und Erwartungen“ ausgedrückt hätten. Chirac hatte schon vor Bekanntwerden der Abstimmungsergebnisse indirekt eine Regierungsumbildung angekündigt.

Der Chef der Regierungspartei UMP, Nicolas Sarkozy, forderte eine drastische Politikwende. „Die Franzosen wollen, dass endlich Schluss ist mit unserer Unbeweglichkeit und unserer Zimperlichkeit“, sagte er. Es müsse jetzt eine „entscheidende Wende in der Wirtschafts- und Sozialpolitik“ geben, verlangte Sarkozy, der Chirac bei den Präsidentschaftswahlen 2007 nachfolgen will.

Die Sozialistin Elisabeth Guigou, früher Sozialministerin, bezeichnete das überwältigende Nein als „Ausdruck einer großen sozialen Verzweiflung“ und machte Chirac für das Ergebnis verantwortlich. Er sei ein „halbherziger Europäer“ und habe sich nicht verständlich genug bei für ein Ja eingesetzt. Erste Analysen zeigten, dass die überwiegende Mehrheit der Nein-Stimmen aus dem Lager der sozialistischen Partei kam: Dort votierten nur 41 Prozent für das EU-Vertragswerk. Die Anhänger der konservativen Regierungspartei UMP stimmten hingegen mit 76 Prozent für die EU-Verfassung.

Innenpolitischer Verlierer in Frankreich ist damit auch Sozialistenchef François Hollande, der die EU-Verfassung befürwortete. Er machte ebenfalls Chirac für das Ergebnis verantwortlich. Das Nein bei der Abstimmung mindert Hollandes Chancen für eine Präsidentschaftskandidatur 2007 zu Gunsten seines parteiinternen Gegners, des früheren sozialistischen Wirtschaftsministers Laurent Fabius, der sich mit den Argumenten Sozialdumping sowie Abwanderung von Betrieben und Arbeitsplätzen in die neuen EU-Mitgliedstaaten für ein „Non“ stark gemacht hatte. Die Gegner der EU-Verfassung in Frankreich reichten von den Linkssozialisten, Kommunisten und Trotzkisten über die meisten Gewerkschaften, große Teile der Grünen, Bauernverbände und Globalisierungsgegner bis zu den ultrarechten Konservativen und den Rechtsextremen.

Die Berichterstatter vor den Büros der Front National des rechtsextremen Jean-Marie Le Pen meldeten überbordenden Optimismus und Lieferungen von Dutzenden Flaschen Champagner. Le Pen sprach von einem „historischen Moment“ und forderte Chiracs Rücktritt.

Die EU-Verfassung kann nur in Kraft treten, wenn sie von allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union angenommen wird. Neun der 25 EU-Länder stimmten bereits zu, zuletzt am Freitag auch Deutschland. Der Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses im Straßburger Europaparlament, der CDU-Politiker Elmar Brok, verlangte, der Ratifizierungsprozess in den übrigen EU-Staaten müsse fortgesetzt werden. Der deutsche EU-Kommissar Günter Verheugen sprach im „Handelsblatt“ von einer „schwierigen Situation“ für Europa. Die Regierung in Paris müsse jetzt entscheiden, ob sie den Prozess der Ratifizierung noch offen halte oder eine EU-Verfassung grundsätzlich ablehne.

Bundespräsident Horst Köhler mahnte in einem Interview eine bürgernahe Vermittlung der Europapolitik an. Es gebe „zu viele Formelkompromisse, zu lange und zu komplizierte Texte. Die Menschen wissen nicht mehr: Was ist eigentlich die Identität Europas?“ Es sei der Fehler der Politik, „die europäische Perspektive den Bürgern nicht hinreichend zu vermitteln“.

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