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Politik: Die Franzosen verkürzen die Wochen - und verlängern die Lebensarbeitszeit (Analyse)

Weniger arbeiten, damit mehr Menschen Arbeit finden - dieser Gedanke ist nicht nur in Deutschland en vogue. Auch die Franzosen setzen auf Verkürzung der Arbeitszeit.

Weniger arbeiten, damit mehr Menschen Arbeit finden - dieser Gedanke ist nicht nur in Deutschland en vogue. Auch die Franzosen setzen auf Verkürzung der Arbeitszeit. Doch während die deutsche IG Metall vehement die Rente mit 60 fordert, führt die französische Linksregierung die 35-Stunden-Woche ein. Die Lebensarbeitszeit in Frankreich hingegen soll schrittweise verlängert werden: von derzeit 60 auf 65 Jahre.

Die Debatte in Deutschland und Frankreich ist genau spiegelbildlich. Was viele Deutsche schon haben - die 35- oder 36-Stunden-Woche - holen die Franzosen am 1. Februar mit der gesetzlichen Arbeitszeitverkürzung nach. Das, was die meisten Franzosen schon genießen - die Rente mit 60 - klagt nun die IG Metall ein. Doch der nahe liegende Schluss, beide Länder befänden sich auf demselben Holzpfad, wenn auch in entgegengesetzter Richtung, greift zu kurz.

Denn zum einen kann man die Diskussion über Arbeitszeiten nicht von der demographischen Entwicklung trennen. Deutschland leidet unter Überalterung und wäre daher gut beraten, die Lebensarbeitszeit zu verlängern. Die französische Bevölkerung hingegen ist vergleichsweise jung-dynamisch, wie aus einer neuen UN-Studie hervorgeht: Sie dürfte, bei gleichbleibender Geburtenrate, bis zum Jahr 2025 um eine Million Einwohner anwachsen. Das Rentenproblem ist dort also weniger drängend als in Berlin.

Zum anderen muß man auch die 35-Stunden-Woche in ihrem Kontext betrachten. Es ist etwas anderes, ob sie isoliert in einer Branche eingeführt wird oder ob sie sich in ein ganzes Maßnahmenbündel zur Förderung der Beschäftigung einreiht. Letzteres ist in Frankreich der Fall. Die 35-Stunden-Woche geht mit einer weitgehenden Flexibilisierung der Arbeit und einer Senkung der Lohnnebenkosten in minder qualifizierten Bereichen einher. Ein kompliziertes System finanzieller Anreize trägt zudem dazu bei, den Unternehmen den Einstieg in die Arbeitszeitverkürzung schmackhaft zu machen und Neueinstellungen zu fördern.

Angesichts dieser massiven staatlichen Offensive fällt das Ergebnis bisher bescheiden aus. In anderthalb Jahren, seit dem ersten - damals noch unverbindlichen - Arbeitszeitgesetz wurden in Frankreich gerade mal 147 104 Stellen gesichert oder neu geschaffen. Gemessen an den hohen Erwartungen ist dies ein klarer Misserfolg. Unbestritten ist jedoch, dass die 35-Stunden-Woche eine segensreiche Dynamik freigesetzt hat. Die Unternehmen modernisieren ihre Arbeitsorganisation, der Pariser Arbeitsmarkt ist spürbar flexibler geworden. Die zusätzliche Freizeit wirkt sich stimulierend auf den privaten Verbrauch aus. Man darf es Premierminister Jospin daher durchaus abnehmen, wenn er stolz berichtet, die Arbeitszeitverkürzung habe das Wirtschaftswachstum "mit Beschäftigung angereichert". Seit Jospins Regierungsantritt 1997 wurde fast eine Million Arbeitsplätze geschaffen. Für das Jahr 2000 rechnen die Experten mit mindestens 300 000 neuen Jobs.

Allerdings hat dieser Erfolg zwei Schönheitsfehler: Er kommt den Staat teuer zu stehen, und er hat die Sozialbeziehungen zum Zerreißen angespannt. Jospin hat die Arbeitgeber bei der 35-Stunden-Woche schlicht übergangen. Jetzt drohen sie mit dem Rückzug aus der paritätischen Mitverwaltung der Pariser Sozialversicherung.

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