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Politik: Die Grenzen der Gesetze

Von Antje Vollmer

Was haben das Luftsicherheitsgesetz, der Gesetzentwurf zur Stärkung der Patientenautonomie und die Debatte über eine Legalisierung von Folter gemeinsam? Sie überdehnen den Bereich des durch Rechtsetzung Regelbaren in die Sphäre der vom Einzelnen zu tragenden und verantwortenden Entscheidung hinein. Eine Passagiermaschine soll durch Bundeswehrflugzeuge abgeschossen werden dürfen, wenn sie von Terroristen als Waffe gegen die Bevölkerung eingesetzt wird. Ein Kidnapper soll durch Polizisten gefoltert werden dürfen, wenn dadurch das Leben des entführten Menschen gerettet werden kann. Ein Kranker soll durch das Unterlassen medizinischer Maßnahmen dem Sterben überantwortet werden dürfen, wenn er geäußert hat, unter bestimmten Bedingungen nicht mehr behandelt werden zu wollen, oder man einen solchen Willen mutmaßen kann.

In allen drei Fällen handelt es sich um existenzielle Situationen im Spannungsfeld zwischen Leben und Sterben. Menschen schützen sich vor dem Nachdenken über so qualvolle Lebensfragen durch Verdrängung oder durch den Ruf nach dem Gesetzgeber. Brauchen wir also Gesetze, um Sicherheit und Regeln zu haben, die uns die Qual einer am eigenen moralischen Ortungssystem orientierten Entscheidung abnehmen?

Der Gesetzgeber hat auf das Problem eines möglichen Flugzeugabschusses und auf den Ruf nach mehr Patientenautonomie reagiert. Die rechtliche Absicherung von Folter steht zwar bisher nicht ernsthaft zur Debatte, wird aber in den Medien zunehmend als legitim betrachtet. Das Bundesverfassungsgericht hat formuliert: Der Schutz des einzelnen Lebens darf nicht deswegen aufgegeben werden, weil das an sich achtenswerte Ziel verfolgt wird, andere Leben zu retten. Die Menschenwürde ist unantastbar – immer wieder –, ein Verrechnen von Leben gegen Leben darf es in einer Demokratie nicht geben. Der Gesetzgeber darf weder Flugzeugpassagiere zum Abschuss freigeben, noch Entführer der Folter überantworten. Er muss die durch das Menschenwürdegebot gezogene Trennlinie zur Willkür achten. Auf der anderen Seite gilt: Ein Mensch, der, wenn es um die Rettung von Menschenleben geht, eine ethisch begründete Entscheidung trifft, mag Zuspruch finden und auf eine milde Strafe hoffen. Die Entscheidung für sein rechtswidriges Handeln in einer Ausnahmesituation muss er persönlich fällen. Ein gutes Gesetz reduziert den Konflikt zwischen Gesetz und Moral, kann ihn aber nicht ganz auflösen. Es bleiben Zumutungen, die sich durch Rechtsetzung nicht auflösen lassen, sondern ausgehalten und in individueller Verantwortung gelöst werden müssen.

Die Autorin ist Vizepräsidentin des Bundestages und Grüne.

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