zum Hauptinhalt

Politik: Die Grünen: Außenpolitik der inneren Stärke

Es ist dieses Gefühl der Ohnmacht, das sich allmählich ausbreitet. Das alle Sinne erfasst.

Es ist dieses Gefühl der Ohnmacht, das sich allmählich ausbreitet. Das alle Sinne erfasst. Das es so schwer macht, nüchterne, kühle, rationale Politik in Zeiten zu betreiben, wo alle Welt von Krieg redet. Eine Vor-Kriegs-Zeit, so fühlen die Grünen. In ihren Kreisverbänden, in den Landesgliederungen, überall wird diskutiert wie lange nicht mehr. Nicht nur Kriegsgegner und Pazifisten debattieren, nicht nur Moralisten, auch ihre Karrieristen hat die Frage angefallen: Was ist jetzt richtig? Die Grünen, bedrängt von Gefühlen, wirken gefangen im Dilemma.

Hubert Kleinert, ein alter Freund von Joschka Fischer aus gemeinsamen hessischen Tagen, wieder auferstanden aus der relativen politischen Bedeutungslosigkeit, hat es dieser Tage auf den Punkt gebracht. Er, der jetzt den Landesverband Hessen führt, einen Verband, der früher immer tonangebend war, intellektueller als der baden-württembergische, der so erdverbunden ist - dieser Kleinert hat gesagt, worauf sich wohl eine Mehrheit verständigen kann. Kampf gegen Terroristen ja, aber nur im Rahmen eines politischen Konzepts. Militärschläge ja, aber ohne Bombardements, unter denen Zivilisten leiden. Unterstützung Amerikas ja, aber nicht um jeden Preis. Das ist die Formel: ja - aber. Denn das ist die Lage: Es geht um Gedeih oder Verderb. Auch der Bundesregierung.

"Eine schwierige Situation", sagen die führenden Grünen in seltener Einstimmigkeit, und das wird die Untertreibung des Jahres sein. Das Gefühl der Lähmung hat viele in ihren Reihen ausgerechnet zu einer Zeit befallen, zu dem sie schneller als das Gefühl sein müssten. Die vielen Telefonate in die rund 500 Kreisverbände, die ausschwärmenden Minister, Staatsminister, Abgeordneten, sie bekommen es zu spüren, dass die Basis, den Grünen lieb und teuer wie keiner anderen Partei, auch so unruhig wie bei keiner anderen ist. Je näher der Militärschlag der verwundeten USA zu rücken scheint, desto schwieriger wird die Situation.

Vier Landesverbände haben schon eine deutsche Beteiligung abgelehnt, der größte, der in Nordrhein-Westfalen, sitzt in der strategisch wichtigsten rot-grünen Landeskoalition. Kippt sie dort, kann es ganz schnell auch in Berlin ums politische Überleben gehen. Denn der Regierungschef in Düsseldorf, Wolfgang Clement, ist vom Zuschnitt in seiner Führung dem Chef hier, Gerhard Schröder, sehr ähnlich. Der Unterschied zwischen beiden lässt sich so beschreiben: Clement ist rauer - Schröder kälter. Und der Bundeskanzler sieht es so: Ohne eine gemeinsame Mehrheit mit den Grünen gibt es keine Gemeinsamkeit mehr.

Aber führende Grüne sind unterwegs, richten sich auf, aneinander. Die Frankfurter kommen. Kleinert ist schon da. Dany Cohn-Bendit. Und Joschka, nicht mehr nur Fischer, der Außenminister. Er kommt seiner Partei so nah wie schon lange nicht. Er versucht, ihr die Starre zu nehmen, die Richtung zu zeigen, den Ausweg aus der Krise: mit der Rückkehr zur Beweglichkeit, auch der geistigen. Es assistiert ihm Dany, wie damals. Sein Vorschlag hat etwas mit der Mehrheit zu tun, bei den Grünen und im Bundestag: Wer partout nicht zustimmen kann, soll eine deutsche Beteiligung ablehnen; aber es dürfen nicht so viele werden, dass die Mehrheit verloren geht. Dass alles verloren ist.

Eine erste kleine Hoffnung aufs politische Überleben ist - die Wählerbewegung. In Hamburg hat die GAL, wie die Grünen in der Hansestadt heißen, Stimmen verloren, aber wegen alter Flügelkämpfe, und nicht an die Anti-Kriegs-Koalition. Da war also der rationale, kühle Kurs im Blick auf die Krisen nicht von Schaden? Fischer wirbt für diese Sicht, auch Ludger Volmer, der Staatsminister unter Fischer, ein realistischer Linker.

Die Bundestagsfraktion kämpft noch, mit sich, mit der Lage. Aber sie erhält die meisten Informationen. Die Meldungen bringen eine weitere Hoffnung: Donald Rumsfeld, der "Falke", der harte amerikanische Verteidigungsminister, hat gerade eben öffentlich gesagt, dass die Reaktion seines Landes auf den Terror nicht ein einziger, ein großer Schlag sein werde - und damit keiner, den die Grünen so fürchten, der mit Flächenbombardements verbunden wäre, dem Zivilisten, Unschuldige zum Opfer fielen.

Mit Fakten gegen das verbreitete Gefühl - nun geht es darum, die Erkenntnisse so schnell wie möglich in die Kreisverbände zu transportieren. Denn das ist das Kalkül: Die Grünen als diskursive Partei lassen sich das Diskutieren nicht verbieten, sie sehen darin ja auch ihre Stärke. Aber jetzt hat ihre Führung, von Fischer über Fritz Kuhn, Claudia Roth bis zu Rezzo Schlauch und Kerstin Müller, die Chance, Stärke in der Führung zu zeigen, der Diskussion die richtige Richtung zu geben. Zunächst in der Bundestagsfraktion, damit es in der Folge keinen Sonderparteitag geben muss. Und damit die SPD, Schröder an der Spitze, ein Signal erhält.

Franz Müntefering hat es schon verstanden. Der Generalsekretär weiß, wie schwer es sich die Grünen machen. Dass sie in Zeiten, als gefahrlos Profilierung möglich war, keine Profilierung schafften - dass jetzt aber keine Profilierung ohne Gefahr mehr möglich ist. Bei keinem Thema, von der Zuwanderung angefagen. Müntefering weiß es: "Die machen es sich schwer. Das ist aber auch verständlich. Auch bei uns in der Partei wird ja diskutiert."

Ja, auch die SPD debattiert, in den Unterbezirken, Bezirken, Landesverbänden, in der Bundestagsfraktion. Pazifisten, Moralisten, Karrieristen ... Nur nicht übers politische Überleben. Wie sicher sich Müntefering ist, dass die sozialdemokratische Fraktion geschlossen steht? Beim letzten Mal gelang das nicht. "Entscheiden tun wir das erst auf der Grundlage der Erwartung, die die USA an uns richtet." Wie ähnlich das klingt. Wie viel sie doch noch gemeinsam haben. "Das wird sich offensichtlich noch ein paar Tage hinziehen." Das Ende der Ohnmacht naht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false