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Politik: Die Grünen nach den Wahlen: Gemeinsam hilflos

Zoff bei den Grünen? "Der Streit ist leicht zu entscheiden", versichert Fritz Kuhn: "Die Grünen sind weder eine sozialdemokratische Partei links von der SPD noch neoliberal.

Von Matthias Meisner

Zoff bei den Grünen? "Der Streit ist leicht zu entscheiden", versichert Fritz Kuhn: "Die Grünen sind weder eine sozialdemokratische Partei links von der SPD noch neoliberal." Der Vorsitzende der Grünen verbreitet am Mittwoch beim Gespräch in Berlin Gelassenheit. Hübsch formulierte Sätze hat er parat, die den Eindruck totaler Verunsicherung in den eigenen Reihen ausräumen sollen. Kuhn: "Wir stehen vor einem eigenen Gerechtigkeitsbegriff, der sich an Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit orientiert. Dazu gehört auch eine moderne Wirtschaftspolitik."

War da was? Knapp drei Wochen liegen die Landtagswahlen im Südwesten zurück, die den Grünen eine herbe Niederlage brachten. Tagelang stritten die Parteifreunde danach über das Schicksal von Jürgen Trittin, der in der heißen Wahlkampfphase die Nationalstolz-Debatte angestoßen und CDU-Wähler mobilisiert hat. Doch inzwischen zeigt sich, dass der Bundesumweltminister längst nicht der einzige Buhmann der Grünen ist. "Was nun, Herr Kuhn?", heißt es über die Sinnkrise der Partei, die sich auch für Kuhn zu einer ernsthaften Krise auswachsen könnte.

Bereitwillig lassen sich Abgeordnete mit kritischen Sätzen zitieren, von denen jeder einzelne auf den Parteivorsitzenden wie eine Ohrfeige wirken muss. "Bei uns geht die nackte Existenzangst um, gepaart mit strategischer Ratlosigkeit", sagt etwa Christian Simmert, mit 28 der Junior unter den Bundestagsabgeordneten der Grünen. Und der Umweltpolitiker Reinhard Loske erklärt, dass die Partei ein "kollektives Gefühl der Hilflosigkeit" ergriffen habe. Außenminister Joschka Fischer, der nach dem Wahldebakel noch einmal für ein sozialliberales Profil der Grünen geworben hatte, erntet Kopfschütteln: Der Realo-Traum von einer wirtschaftsfreundlichen Öko-FDP gilt weithin als ausgeträumt.

Es war fast absehbar, dass jetzt jene die Gunst der Stunde nutzen, die sonst parteiintern weniger zählen. "Kein Ausrutscher" sei es gewesen, dass Fraktionschefin Kerstin Müller den Diskurs über die grüne Zukunft genutzt habe, um für ein neues sozialpolitisches Profil der Grünen einzutreten, sagt einer ihrer Vertrauten. Vorarbeit ist geleistet worden: Schon im vergangenen Dezember hatte sich Müller mit dem damaligen ÖTV- und heutigen Verdi-Chef Frank Bsirske, einem Grünen-Mitglied, getroffen.

Gemeinsam mit Ko-Fraktionschef Rezzo Schlauch und der damaligen Parteivorsitzenden Renate Künast stritt die Runde über die Modernisierung der Gesellschaft - und warb anschließend gemeinsam dafür, die Ausschreibung von öffentlichen Leistungen an soziale und ökologische Mindeststandards zu binden: "Bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen darf nicht der billigste Jakob das Rennen machen, sondern der Bewerber, der unter sozialen und ökologischen Gesichtspunkten das beste Preis-Leistungs-Verhältnis bietet." Im Januar forderte die Grünen-Landtagsfraktion in NRW eine Änderung des Vergaberechts, wonach Tariftreue als Vergabekriterium festgeschrieben werden soll. Als Müller den Vorschlag jetzt erneuerte, gab Oswald Metzger, Ober-Realo der Grünen, zurück: Die Idee sei mit Marktwirtschaft und Wettbewerb nicht zu vereinbaren.

Und Kuhn? Direkt rüffelte er weder den einen noch den anderen seiner Parteifreunde. Aber er kennt doch die Analyse der Meinungsforscher, wonach sich die Anhänger der Grünen "deutlich links von der Mitte" einstufen. Insofern, so schrieb ihm Manfred Güllner vom Forsa-Institut, gehe es ganz anders zu als unter FDP-Wählern, für die "Werte wie Leistung und Marktkräfte wichtig" seien.

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