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Politik: Die Gunst der späten Stunde

Nachfolger für Rüttgers gäbe es – doch der CDU-Landeschef hat seinen Machtinstinkt noch nicht verloren

Die Weitsichtigen in Nordrhein-Westfalens CDU haben längst erkannt, dass Ministerpräsident Jürgen Rüttgers Vergangenheit ist. Nach nur fünf Jahren haben ihm die Wähler ein katastrophales Zeugnis ausgestellt und ihn mit einem Verlust von zehn Prozent der Stimmen völlig desillusioniert. Wenn Kanzlerin Angela Merkel von einer gemeinsamen Verantwortung spricht, klingt das in den Ohren von Rüttgers wie eine Höchststrafe: Er hatte sich in der Vergangenheit mehr als einmal von Berlin abgesetzt und sein eigenes Spiel gespielt; jetzt muss ihm ausgerechnet die Frau beispringen, deren Job er glaubt besser machen zu können, weil er mehr von Partei versteht.

Dass ihm der Machtinstinkt auch in dieser schwierigen Lage noch nicht verloren gegangen ist, zeigt seine Volte am Wahlabend. Die eigene Truppe hatte die schlechten Zahlen noch nicht verdaut, hier und da kullerten sogar Tränen, als Rüttgers vorpreschte und davon sprach, die Verantwortung zu übernehmen und auch den Rückzug von allen Ämtern in Aussicht stellte. Der Landesvorstand war allerdings so perplex, dass niemand auch nur eine Sekunde Zeit hatte, über das Angebot wirklich nachzudenken; ohne Zögern beschworen ihn mehrere Gefolgsleute, doch bitte nicht aufzugeben.

Dass die Debatte nicht wirklich offen geführt wurde und viel zu früh kam, konnte man gleich an mehreren Stellen spüren. Rüttgers Generalsekretär Andreas Krautscheid stritt öffentlich zunächst ab, dass es ein solches Angebot überhaupt gegeben habe und wurde öffentlich bloßgestellt, als der Europaabgeordnete Elmar Brok zu diesem Zeitpunkt schon dafür gesorgt hatte, dass die Rücktrittsepisode in den Medien gelandet war.

Andere Büchsenspanner hatten gleichfalls dafür gesorgt, dass zwei weitere Namen durch die Gazetten getrieben wurden; möglicherweise mit dem Hintergedanken, ihre Ambitionen sofort im Keim zu ersticken: Während sich Rüttgers in Düsseldorf zurückzog und kein Wort mehr sagte, geisterten die Namen von Norbert Röttgen und Ronald Pofalla als mögliche Bewerber für den CDU-Landesvorsitz durch die Landschaft. Mindestens Röttgen war sogar kurz persönlich im Landtag erschienen. Dass der Mann Ambitionen hat, gilt in CDU-Kreisen als gesichert; er hat kürzlich den Vorsitz des CDU-Bezirks Mittelrhein erobert und dabei Rüttgers’ Intimus Krautscheid aus dem Feld geschlagen.

Am Ende kommt allerdings niemand aus der Deckung. Dies hat freilich auch damit zu tun, dass die Union die Gunst der späten Stunden zu nutzen versucht. Als die Landeswahlleiterin in der Nacht das amtliche Endergebnis verkündet, hellen sich die Gesichtszüge der Strategen wieder auf: Die CDU hat zwar eine Million Stimmen verloren, sie liegt aber immer noch rund 6000 Wähler vor der SPD, die sich offenbar zu früh gefreut hat. Sofort erkennen die CDU-Leute die Chance und scharen sich um Rüttgers, der damit mindestens das Mandat für mögliche Verhandlungen erhält. „Nordrhein-Westfalen braucht eine stabile Regierung“, verkündet Rüttgers deshalb persönlich am Morgen danach in Berlin und verschwindet in den Parteivorstand.

In Düsseldorf sammeln sie zur gleichen Zeit die Wahlplakate ein, auch jenes vor der CDU-Parteizentrale, auf dem neben dem Bild von Rüttgers steht: „Der Garant für Stabilität“. Die Wähler haben es offenbar anders gesehen und auch in Düsseldorf deutet im Moment vieles darauf hin, dass Rüttgers eher ein Hindernis für die Regierungsbildung werden könnte.

Am Abend gab Rüttgers Fehler im Wahlkampf zu, bekräftigte aber seine Bereitschaft, Gespräche zur Bildung einer neuen Landesregierung zu führen. Er werde sich dafür einsetzen, dass es in NRW trotz der „äußerst schwierigen politischen Situation“ zu einer stabilen Regierung komme.

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