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Politik: Die Handschrift des Bösen

TERROR IN MADRID

Von Christoph von Marschall

Wieder geht eine Welle des Entsetzens um die Erde – wie nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York, auf die deutschen Touristen in der Synagoge von Djerba, die Urlauber in den Diskotheken auf Bali und die Innenstädte von Istanbul oder Riad. Die Bilder von den blutbefleckten Tatorten, die Schreie der Verwundeten, die Tränen der Angehörigen werden niemanden kalt lassen, sie fordern unser Mitgefühl. Der Terror von Madrid trägt aber auch die Angst nach Europa, das bisher von Gewalttaten dieser Dimension verschont geblieben war. Er hat Al Qaida’sche Ausmaße. Einen Megaanschlag mit so vielen Opfern hat Europa noch nicht erlebt. Terror schon: den der irischen IRA, den der Korsen und natürlich den der baskischen Eta in Spanien, nicht zu verschweigen den der Baader- Meinhof-RAF, damals im deutschen Herbst. Doch zehn aufeinander abgestimmte Bomben an mehreren Vorortbahnhöfen im morgendlichen Berufsverkehr, ohne jede Vorwarnung – das ist neu für Europa, neu für Spanien.

So war es sehr verständlich, dass zunächst Zweifel aufkamen am schnellen Urteil der spanischen Regierung: Da steckt die Eta dahinter. Es wirkte wie ein Feindbild-Reflex der Regierung Aznar so kurz vor der Parlamentswahl am Wochenende. Im Konflikt mit den Basken war die national denkende Partido Popular schon immer weniger konzessionsbereit als die Sozialisten, setzte auf Härte und Standhaftigkeit. Nicht ohne Erfolg. Es war doch still geworden um die Eta. Warum also an deren Täterschaft glauben, zumal so vieles untypisch war? Als die Baskenorganisation noch regelmäßig bombte, versprach sie schließlich, keine Anschläge an Orten mit vielen Menschen zu verüben – und vorzuwarnen. Schaden sollte es geben, aber wenig Opfer, weil die Sympathie kosten für das eigentliche Anliegen, die Unabhängigkeit des Baskenlands. Zudem hatten Fahndungserfolge die Eta geschwächt.

Doch macht das überhaupt einen Unterschied, ob Eta oder Al Qaida? Nicht für unsere Gefühle, unser Entsetzen, unsere Solidarität. Sehr wohl aber für die Einschätzung der Bedrohungslage in Europa, auch in Deutschland. Und für die Frage, was sich zur Gefahrenabwehr tun lässt. International operierende Terroristen vom Typ Al Qaida kann man nur grenzüberschreitend bekämpfen: in ihren Heimatländern und an ihren Zielorten. Zum Kampf gegen den nationalen Terror – ob den der IRA, der Korsen, der Basken, der Tschetschenen oder den eines Oklahoma-Bombers in den USA, der 1995 mit einem Anschlag auf ein Regierungsgebäude 168 Menschen tötete – können andere Staaten in der Regel wenig beitragen. Falls es in Madrid Al-Qaida-Kreise waren, müsste das die Deutschen höchst beunruhigen. Aus Sicherheitskreisen ist zu hören: Zuschlagen könnten Al-Qaida- Schläfer auch hier. Bisher werden sie zurückgehalten, weil es der Terrorführung politisch opportun erscheint.

Wenn Madrid dagegen das Werk der Eta war, stirbt ebenfalls eine Hoffnung: dass sich solcher Unabhängigkeitsterror politisch austrocknen lässt. Denn bisher gab es die doch. Geboren wurde der Eta-Widerstand unter Franco – und genoss im Kampf gegen die Diktatur und einen nationalistischen Zentralismus auch Sympathien unter Nicht-Basken. Mit der Demokratisierung Spaniens und der Autonomie des Baskenlandes schwand diese Legitimation langsam. Selbst die Anschläge auf Kasernen der Polizei, die in den 80er Jahren noch gewisse Zustimmung fanden, wurden durch den politischen Prozess allmählich gestoppt. Die Eta hatte sich gemäßigt, hatte das Ziel Unabhängigkeit zwar nicht aufgegeben, aber ihr militärischer Zweig trat hinter den politischen zurück.

Wenn hinter den Bomben die Eta steckt, dann wohl eine neue Generation, die sich dieser Befriedung brutal entgegenstellt und ihrem Sympathisantenkreis nun ihre Handlungsfähigkeit und Existenzberechtigung beweisen will. Und die ganz zynisch kalkuliert, dass die Anschläge bei der Wahl am Sonntag ihren Erzfeind, die nationalkonservative PP, stärken – weil das dem Widerstandsgeist der Basken mehr dient als eine kompromissbereite sozialistische Regierung. Im Sinne der Terroristen wäre jetzt eine Eskalation durch Repression. Europa muss hoffen, dass Spanien kühlen Kopf bewahrt.

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