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Politik: „Die Kampa vermarktet vor allem sich selbst“

Die SPD in NRW ist von der Berliner Wahlkampfzentrale enttäuscht – den jüngsten Streit aber möchte sie vergessen

Von Jürgen Zurheide, Essen

Irgendwann im Laufe des Nachmittags wurde die Hoffnung zur Gewissheit. Dieter Hilser war durch die Wahllokale gezogen und hatte überwiegend aufmunternde Signale empfangen. Plötzlich stand dann dieser Mann vor ihm, der soeben seine Stimme abgegeben hatte und rief ihm freundlich zu: „Ich habe gerade den Dicken abgewählt.“ In diesem Moment wusste Dieter Hilser: „Wir werden die Wahl gewinnen.“

Die Szene spielte am 27. September 1998 in einem Wahllokal des Essener Westens und spätestens um 18 Uhr wusste der Sozialdemokrat Dieter Hilser, dass ihn sein Instinkt nicht getrogen hatte, die Genossen feierten einen klaren Sieg. Den Grundstein dafür hatten sie im größten Bundesland gelegt. Dieter Hilsers Augen spiegeln Wehmut, wenn er darüber spricht. Sobald vom 22. September, dem Tag der Bundestagswahl, die Rede ist, verändert sich sein Gesichtsausdruck: „Ja, es wird schwer dieses Mal.“ Hilser hat sich an diesem Nachmittag beim Sommerfest des Kleingartenvereins „Am Schultenweg“ verabredet; es ist ein Treffen unter politischen Weggefährten. Der Ortsbürgermeister ist auch da, wobei es hier eine erste kleine Einschränkung gibt. Berthold Soloch ist natürlich Genosse, aber bei der Kommunalwahl 1999 haben die Wähler im traditionell roten Essener Westen die Sozialdemokraten abgestraft; Soloch ist nur noch stellvertretender Ortsvorsteher.

Rolf Hempelmann, der Bundestagsabgeordnete, zählte 1998 zu den Spitzenreitern in der Berliner Fraktion; mit seinen 62,1 Prozentpunkten liegt er auf Platz vier der SPD- Hitliste. Dass er am 22. September wieder direkt nach Berlin geschickt wird, bezweifelt kaum jemand. „Ich bin immer hier im Wahlkreis unterwegs, nicht nur vor den Wahlen“, sagt er und die umstehenden Kleingärtner nicken. Dass die in Berlin jetzt davon reden, im Wahlkampf einen Zwischenspurt einzulegen, entlockt ihm nur ein müdes Lächeln: „Ich laufe schon lange.“ Aber auch er gibt zu, dass der Wahlkampf dieses Mal schwerer ist als sonst. „In einer Veranstaltung musst du erst einmal eine halbe Stunde über diesen Skandal und jenes Skandälchen reden. Und dann erst kannst du von unseren Leistungen sprechen.“ Eigentlich, hatte er gehofft, würden die Strategen in der Berliner Wahlkampfzentrale, der Kampa, die großen Themen setzen und ihm die Arbeit erleichtern: „Doch da kommt nichts, ich habe eher den Eindruck, die vermarkten vor allem sich selbst.“

Michael Groscheks Gesichtsfarbe verändert sich ebenfalls, sobald man auf die Kampa zu sprechen kommt. Der Generalsekretär der nordrhein-westfälischen SPD versucht allerdings ruhig zu bleiben: „Wir sind jetzt ein Herz und eine Seele.“ Natürlich entgeht niemandem, dass die Betonung auf „jetzt“ liegt, denn noch vor zwei Wochen hatte es mächtig gekracht. Mattias Machnig, der Intimus von Franz Müntefering, hatte die Genossen an Rhein und Ruhr eher rüde aufgefordert, mehr zu kämpfen. Viele in Düsseldorf haben das als vorzeitige Schuldzuweisung für den Fall eines Scheiterns aufgefasst. Wolfgang Clement, der Ministerpräsident und Partei-Vize, hatte zurückgeholzt: „Man redet nicht darüber, dass man kämpft, man kämpft und wir hier liefern unseren Beitrag.“ In der Tat waren die Genossen kürzlich fast entzückt, als ihnen der WDR 42 Prozent voraussagte. „Das ist nach den ganzen Skandalen erstaunlich gut“, analysierte einer, und Clement hat ihm nicht widersprochen.

Inzwischen hoffen alle, dass aus dieser Abteilung keine neuen schlechten Nachrichten kommen. „Dann können wir den Abstand zur CDU weiter vergrößern“, macht sich Michael Groschek Mut und nach einer kleinen Pause fügt er keck hinzu, „jeder Auftritt von Stoiber hier ist Wahlwerbung für uns“. Das Problem, das weiß Groschek natürlich, ist die Mobilisierung. Kaum ein alter SPD-Wähler wechselt zur CDU, man bleibt einfach zu Hause. „Wir haben uns deshalb gegen die Kampa durchgesetzt, die fahren jetzt unsere sozialen Themen“, freut sich der General.

Die Genossen beim Sommerfest der Kleingärtner sehen das ähnlich. „Mit der Hartz- Kommission kannst du bei den Arbeitern nicht punkten, die sehen das vor allem als Bedrohung“, berichtet Berthold Soloch. Ein Kanzler, der gegen die Gehälter und Abfindungen der Bosse wettert, kommt bei ihrer Klientel besser an.

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