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Politik: „Die Kanzlerin hat gute Dinge getan“

Vizekanzler Franz Müntefering über das Kräfteverhältnis in der Koalition, den Nahost-Einsatz – und Ballkleider

Herr Müntefering, was sollen die Deutschen einmal über Ihre Vizekanzlerschaft sagen?

Er war dabei, als eine unerwartete Koalition zustande kam, die das Land dann aber gut vorangebracht hat.

Wie wär’s mit: Er war zum Schluss ein großer Reformer?

Ich hab’ da persönlich keinen Ehrgeiz, glaube aber, dass wir weiter auf Modernisierungskurs bleiben müssen. Was Gerhard Schröder und Rot-Grün in der letzten Wahlperiode mit der Agenda 2010 begonnen haben, muss die große Koalition fortsetzen. Und sie setzt es fort: Haushalt konsolidieren, Sozialsysteme sichern, Wachstum hoch-, Arbeitslosigkeit runterbringen. Darum geht es.

Manche in der SPD klagen: Der Franz nimmt auf die Partei keine Rücksicht mehr.

Das ist keine Frage von Rücksichtnahme. Ich habe in der Koalition dazu beizutragen, dass erfolgreich regiert wird. Das ist dann auch der Erfolg meiner Partei und auf der Strecke gut für sie. Kurzfristig heißt das dann manchmal, dass ich die Akzente verschieben muss…

…und die SPD überrumpeln wie bei der Rente mit 67?

Ich habe bei der Rente mit 67 das vollzogen, was wir im Koalitionsvertrag ausgehandelt haben, nämlich das Renteneintrittsalter schrittweise anzuheben. Diese Vereinbarung haben wir auf einem Parteitag mit großer Mehrheit beschlossen. Meine Partei kann also nicht überrumpelt worden sein.

Muss jeder wissen, dass Franz Müntefering exekutiert, was im Koalitionsvertrag steht?

Ja, die Koalition macht, was sie da aufgeschrieben hat. Anderes, was wir damals noch nicht absehen konnten, wird hinzukommen – und dann auch dem Geist des Koalitionsvertrags entsprechen. Und der trägt klar eine sozialdemokratische Handschrift. Ich nenne nur das 25-Milliarden- Programm, das uns beim Wachstum ordentlich voranbringt. Dafür haben wir gesorgt, die SPD.

Es ärgert Sie, dass für viele in der SPD Teile des Vertrages Verhandlungssache sind?

Klar ist natürlich, und vielleicht muss der eine oder andere das auch noch verinnerlichen: Wir sind in dieser Koalition eben nicht die Großen, wie es bei Rot-Grün der Fall war, sondern liegen auf Augenhöhe mit der Union. Das heißt: Keiner der beiden Partner wird die Koalitionsvereinbarung aus eigener Kraft verändern und das Feld alleine bestimmen können.

Wenn Sie drei Wünsche an die SPD frei hätten, wie würden die lauten?

Drei? Ich brauch’ nur einen.

Bitte schön.

Wir müssen verstehen, dass wir eine große Chance haben, in diesem Land sozialdemokratische Politik zu machen. Dazu müssen wir mutig sein und selbst die Initiative übernehmen. Wir dürfen uns nicht beirren lassen davon, dass die Union die Kanzlerin stellt. Es gibt eine breite Schneise in Deutschland für sozialdemokratische Politik, und die müssen wir nutzen.

Was hat die Sozialdemokratie den Menschen in Zeiten der Globalisierung denn zu bieten? Muss sie die Schutzmacht der verunsicherten Mittelschicht werden, wie SPD-Chef Beck meint?

Kurt Beck hat die veränderte Lage richtig beschrieben. Das Land hat über Jahrzehnte in der Gewissheit gelebt, dass man sich nach vorne arbeiten kann, wenn man sich anstrengt. Das gilt für das zweite Drittel der Gesellschaft heute nicht mehr so automatisch wie früher. Das obere Drittel braucht sich um Chancen und Perspektiven nach wie vor keine Sorgen zu machen, das untere Drittel hatte das Problem schon eher in der Vergangenheit. Die dazwischen aber haben jetzt teilweise Angst, sie könnten wegsacken zum Beispiel in lange Arbeitslosigkeit. Die SPD muss dafür sorgen, dass alle und besonders auch diejenigen, die etwas lernen, etwas leisten und etwas können, auch Chancen haben in der Gesellschaft. Ich glaube aber, dass wir in der Koalition im ersten Jahr schon ein Stück mehr Zuversicht geschaffen haben, was den Arbeitsmarkt und die sozialen Sicherungssysteme angeht. Es bewegt sich was.

Als mögliche Kanzlerkandidaten werden in der SPD neben Kurt Beck bereits Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Umweltminister Sigmar Gabriel genannt. Haben alle drei das Zeug zum Kanzler?

Da können wir uns alle hinter Kurt Beck versammeln: Er hat deutlich gemacht, dass der Parteivorsitzende immer das erste Wort in dieser Frage hat. Er wird das erste Wort aussprechen, wenn es an der Zeit ist. An der Zeit ist es noch nicht. Deshalb ist alles andere Spekulation jenseits der politischen Wirklichkeit. Aber eines freut mich schon: Jahrelang hieß es, wir hätten kein weiteres Spitzenpersonal, und jetzt wird über eine Hand voll Topleute bei der SPD diskutiert.

Apropos Topleute: Klaus Wowereit will künftig in der Bundespolitik stärker mitreden. Hätte er Ihre Unterstützung, wenn er 2007 als SPD-Vize kandidiert?

Die bräuchte er gar nicht.

Das heißt: Wowereit schafft das auch so?

Das würden wir dann 2007 sehen.

Wowereit steht auch für die Option der SPD auf eine rot-rot-grüne Koalition im Bund. Ist das für alle Zeit ausgeschlossen?

So verstehe ich seine Position nicht. Aber davon ganz abgesehen: Ich weiß nicht, was im Laufe des Jahrhunderts sein wird. Auf absehbare Zeit sehe ich das aber nicht, schon wegen der unverantwortlichen außenpolitischen Linie der PDS. Ich werde das nicht mehr erleben.

Herr Müntefering, als Vizekanzler haben Sie eine der schwierigsten Entscheidungen mitzuverantworten, vor der eine Bundesregierung je stand: deutsche Soldaten in den Nahen Osten zu schicken. Wie ist Ihnen dabei zumute?

Das ist eine große Verantwortung, und das spürt man, ganz klar. Es geht nicht nur um einen Konflikt im südlichen Libanon, sondern um eine große politische Lösung in der ganzen Region. Das wird uns noch über Jahre beschäftigen.

Der israelische Premier hat die Deutschen gebeten, sich an einer Friedensmission zu beteiligen. Was bedeutet Ihnen diese Bitte?

Dass diese Botschaft aus Israel kommt, ist eine große Sache. Das bewegt einen schon. Die Zustimmung ist allerdings nicht im ganzen Land da.

Joschka Fischer hat immer gesagt: Wenn es keinen Frieden im Nahen Osten gibt, gibt es keinen Frieden in der Welt. Nun sollen deutsche Marinesoldaten vor der libanesischen Küste patrouillieren. Reicht das als deutscher Beitrag aus?

Offensichtlich ist es so, dass sich die Aufgabe der Seesicherung harmlos anhört. Aber es geht zum Beispiel darum, den Waffenschmuggel an die Hisbollah zu stoppen, also um einen sehr handfesten, wahrscheinlich zentralen Einsatz, an dem sich Deutschland beteiligen wird. Man kann nicht erwarten, dass Waffenlieferanten es als einen freundlichen Akt ansehen, wenn deutsche und andere Soldaten die Küste bewachen und sie an ihren Waffenlieferungen hindern werden.

Wir reden also von einem Kampfeinsatz?

Man darf diesen Einsatz zumindest nicht verharmlosen. Zwar werden die genauen Regeln des Einsatzes zurzeit noch abgestimmt, aber so viel ist schon jetzt klar. Denn um den Waffenschmuggel von der Seeseite zu unterbinden, brauchen wir ein robustes Mandat, dass es der Marine erlaubt, verdächtige Schiffe gegen deren Willen zu kontrollieren und zu stoppen. Wir müssen klipp und klar sagen, dass das sehr ernst werden kann.

Bisher hat jeder Einsatz deutscher Soldaten im Auftrag der UN länger gedauert als geplant. Muss die Koalition auch klipp und klar sagen, dass es um einen Langzeiteinsatz geht?

Ich bin kein Hellseher. Aber dass der Konflikt in der Region womöglich nicht mal eben in einem Jahr beendet werden kann, damit müssen wir zumindest rechnen. Vielleicht kehrt im Südlibanon schon schneller Ruhe ein, wenn dort auch libanesische Soldaten stationiert sind. Wie lange die UN-Truppen dort sein werden, können wir noch nicht absehen. Wenn der Einsatz länger dauert, muss das nicht bedeuten, dass die ganze Zeit dieselben Soldaten und Länder da sind.

Braucht die Koalition im Parlament eine eigene Mehrheit für den Einsatz?

Natürlich. Ich bin mir auch sicher: Diese Mehrheit wird zustande kommen.

Die Bundeskanzlerin hat lange zu der Mission geschwiegen. War ihr Management professionell?

Es war gut, dass Außenminister Steinmeier und Kurt Beck für die SPD klar Position bezogen haben. Das war mutig. Die Kanzlerin hat in den Gesprächen, die ich miterlebt habe, keine Sekunde gezögert. Wir sind ja dann auch diese Linie gemeinsam gegangen.

Frau Merkel hat die Grundsatzentscheidung für einen militärischen Beitrag Deutschlands am Rande einer Opernaufführung gefällt, quasi im Ballkleid. War das dem Ernst der Lage angemessen?

Ein Ballkleid hatte keiner von uns an.

In Bayreuth ging es auch um den Arbeitsplan der Koalition für den Herbst. Beginnen wir mit dem Arbeitsmarkt: Was ändert sich, wenn Sie Hartz IV überarbeiten?

Die Grundentscheidung der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe war richtig. Es wird also keine Generalrevision geben. Wir wollen aber die Vermittlung verbessern und die Zusammenarbeit von Arbeitsagenturen und Kommunen in den Arbeitsgemeinschaften verbessern. Und wir müssen den Niedriglohnbereich neu und vernünftig organisieren. Dazu gehört auch, über die Zuverdienstmöglichkeiten für Langzeitarbeitslose noch einmal neu nachzudenken.

Warum?

Wir haben die Situation, dass es bei manchen Arbeitslosengeld-II-Empfängern Grundmentalität geworden ist, dass man zu Hause bleibt und ein bisschen etwas nebenher verdient. Das ist aber nicht der Sinn des Ganzen. Das Arbeitslosengeld II ist eine Brücke zum Arbeitsmarkt. Wir müssen darauf achten, dass es Priorität bleibt, durch Arbeit Geld zu verdienen.

Werden Sie im Herbst auch den Kündigungsschutz lockern?

Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, eine zweijährige Wartezeit einzuführen und dafür die auf zwei Jahre befristeten Verträge abzuschaffen. Ich habe aber den Eindruck, dass es auch in der Union inzwischen Zweifel gibt.

Das heißt, von sich aus wird der Arbeitsminister diesen Punkt des Koalitionsvertrages nicht exekutieren?

Die Union wird mich schon sehr drängen müssen. Denn: Weshalb soll ich den Kündigungsschutz verändern, wenn anschließend die Gewerkschaften, der Arbeitgeberverband und Teile der Union, die das vorher gewollt haben, mir sagen, dass das Mist ist?

Die Konjunktur springt an, die Löhne steigen. Können auch die Rentner im Jahr 2007 auf ein Plus hoffen?

Im Moment weiß keiner, ob es im nächsten Jahr zu Rentenerhöhungen kommt oder nicht. Das hängt davon ab, wie sich die Löhne und Gehälter bis Ende 2006 entwickeln. Es ist unverantwortlich, Erwartungen zu wecken, die unsicher sind. Ich warne vor Verunsicherung und leeren Versprechen. Wo sind die Lohnerhöhungen, die das hergeben sollen?

Sie verordnen den Rentnern aber keine Nullrunde, wenn die Löhne stark steigen?

Natürlich nicht, das darf ich überhaupt nicht. Es ist eine blanke Selbstverständlichkeit, dass dann auch die Rentner davon profitieren werden.

Wird die Witwenrente gekürzt?

Nein. Die Regierung plant das nicht.

Herr Müntefering, Sie haben mehrfach beklagt, der Koalition fehle es an Wir-Gefühl. Wie äußert sich das?

Eine Koalition kann nur gelingen, wenn es ein Mindestmaß an Wir-Gefühl gibt. Wir sollten uns alle freuen, wenn die Kanzlerin oder ein Minister der anderen Partei Erfolg hat. Der gemeinsame Erfolg wird letztlich beiden Parteien zugute kommen. Wer neidisch ist, verbraucht zu viel Kraft.

Sind Sie stolz auf Angela Merkel?

Große Worte. Aber ich finde, dass die Kanzlerin in den ersten neun Monaten eine Menge guter Dinge getan hat. So wie das Kabinett insgesamt.

Ist die Kanzlerin zu misstrauisch, wie manche sagen?

Sie ist vorsichtig. Sie ist Wissenschaftlerin, immer um Überblick und eine objektive Blickweise bemüht.

SPD-Fraktionschef Struck vermisst Gerhard Schröder, weil der als Kanzler so entscheidungsfreudig war. Geht es Ihnen nicht so?

Gerhard Schröder war ein guter Kanzler. Wir haben gut zusammengearbeitet, aber jetzt ist die Lebenswirklichkeit eine andere. Ich philosophiere nicht über Was-wäre-wenn, sondern sage mir: Wir haben in der großen Koalition die große Chance, die Dinge erfolgreich zu machen, also mach es.

Der Vizekanzler muss immer auch ein bisschen Chefdiplomat sein, oder?

Ich habe das nicht studiert, ich habe auch keine Anzüge mit Nadelstreifen, aber wenn ich entscheiden muss, ob ich gut oder schlecht über die Koalition rede, versuche ich es immer mit gut. Das ist meine Aufgabe.

Die Fragen stellten Stephan-Andreas Casdorff, Cordula Eubel und Stephan Haselberger.

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