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Politik: Die Katastrophe

Von Ursula Weidenfeld

Sie drehen und wenden es, wie sie wollen. Aber am Ende bleibt das, was die große Regierungskoalition jetzt als große Gesundheitsreform präsentiert hat, ein komplettes Desaster. Übrig geblieben sind von all dem großen Gerede über grundlegendes, über Jahre beständiges Reformwerk, an dem sich diese Regierung messen lassen muss: eine saftige Beitragserhöhung, eine neue Geldverteilungsinstitution und Kleckerkram. Dafür braucht man keine große Koalition. Dafür braucht man noch nicht einmal eine Bundesregierung. So etwas können Krankenkassen allein.

Gegen den Stillstand im Land hat sich diese Koalition empfohlen, die Kanzlerin beschrieb vor wenigen Tagen noch drastisch den „Sanierungsfall Deutschland“, dem ihre Regierung entschlossen zu Leibe rücken wolle. So hat man sich die Allianz von Union und SPD als Konstellation schöngeredet. Nur sie habe die Kraft, große Probleme mit großen Entwürfen und großen Mehrheiten aus der Welt zu schaffen. Diese Illusion ist in der Nacht zum Montag geplatzt. Diese Koalition begründet sich allein dadurch, dass sie besteht. Sie hat keinen Anspruch, kein Konzept und vor allem keinen Mut.

Sieben Monate nach Amtsantritt liefert die Regierung anstelle ihrer ersten großen Reform denselben Murks ab, mit dem die alte Regierung abgetreten ist. In der Wirtschaft nennt man die Erkenntnis, einen Sanierungsfall vor Augen zu haben und dennoch nicht zu handeln, Konkursverschleppung. Dort ist das ein Straftatbestand.

Zum ersten Januar wird nun also nicht nur die Mehrwertsteuer steigen, nicht nur die Rentenversicherung teurer, nicht nur die Pendlerpauschale drastisch zusammengestrichen. Jetzt kommt auch noch eine ordentliche Beitragserhöhung der Krankenkassen dazu – verordnet von eben jener Bundesregierung, die als einen der wenigen gemeinsamen Glaubensgrundsätze immer wieder verkündet hatte, sie werde den Faktor Arbeit entlasten. Daraus wird nichts. Denn auch wenn im Jahr 2008 schrittweise die Kinderversicherung über Steuereinnahmen bezahlt werden soll, so wird dieser Betrag doch nicht einmal reichen, die Ausfälle aus der Tabaksteuer zu kompensieren, die bisher Finanzlücken im Gesundheitswesen stopfte. Unter dem Strich wird also vorerst nur ein anderer Steuertopf angezapft.

Inhaltlich, bei der großen Strukturreform, habe man es verhindert, dass Leistungen ausgegrenzt werden, sagte SPD-Chef Kurt Beck nach der Verhandlungsnacht erschöpft, aber glücklich. Bloß bei Tätowierungen und Löchern, die sich junge Menschen in alle möglichen Körperteile zu bohren pflegen, werde man in Zukunft die medizinischen Folgekosten nicht mehr zahlen. Tattoos, Piercings und Schönheitsoperationen – man soll den Regierenden nicht nachsagen, sie hätten sich nicht mit Details auseinander gesetzt. Dass sich die politische Elite des Landes aber ausgerechnet an Gewohnheiten der derzeitigen Jugendkultur vergreift, zeigt die Hilf- und Ahnungslosigkeit, die in der Nacht zum Montag geherrscht haben muss.

Statt dafür zu sorgen, dass endlich überzählige Krankenhausbetten abgebaut, unwirksame Reha-Einrichtungen geschlossen, doppelte und dreifache Untersuchungen verhindert und Bagatellen der Eigenverantwortung der Versicherten überantwortet werden, tun die Spitzen dieser Koalition so, als würden die Probleme allein durch die neue Geldverteilstelle Gesundheitsfonds geheilt. Das ist ein Skandal.

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