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Emotionen, die Menschen auf die Straßen treiben: Teilnehmer einer "Pro Chemnitz"-Demonstration im August.

© Odd Andersen/ AFP

Demokratie-Forum beim Bundespräsidenten: Die Macht der Gefühle

Woher kommt die Wut, was treibt die Spaltung der Gesellschaft voran? Diesen Fragen ging eine Runde kluger Köpfe im Schloss Bellevue nach.

Von Hans Monath

Als Mann der puren Emotion galt der gegenwärtig höchste Repräsentant Deutschlands noch nie. Umso aufmerksamer hörten viele zu, als Frank-Walter Steinmeier 2014 bei einem Wahlkampfauftritt der Kragen platzte, nachdem ihn Demonstranten als „Kriegstreiber“ beschimpft hatten. Der damalige Außenminister schimpfte mit rotem Kopf und vernünftigen Argumenten laut zurück, seine Wutrede wurde zum YouTube-Hit.

Am Donnerstag ging es im Schloss Bellevue unter Steinmeiers Leitung wieder um Emotionen - doch diesmal in akademisch-gesitteter Form und analytischer Absicht. Für sein fünftes Demokratie-Forum hatte sich der Bundespräsident kluge Gäste zum Thema „Risse und Ressentiments. Über die Fragmentierung und Emotionalisierung von Politik und Gesellschaft“ geladen: die Historikerin Ute Frevert, den Bürgermeister Andreas Hollstein, die Soziologin Cornelia Koppetsch und den Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen.

Die gespaltene Gesellschaft, das Thema treibt Steinmeier um, wie er in seiner Begrüßung deutlich machte. Der Zusammenhalt habe sich in den vergangenen Monaten nicht verbessert, konstatierte er - im Gegenteil: Vieles deute darauf hin, „dass die Risse tiefer geworden sind und dass sich das Klima der öffentlichen Debatte weiter erhitzt hat“.

Die politischen Lager verschanzten sich voreinander, die Sprache werde zunehmend roher und rücksichtsloser, Menschen mit unterschiedlicher Meinung kämen kaum mehr miteinander ins Gespräch. Bemerkenswert war, dass Steinmeier auf eine einseitige Schuldzuweisung verzichtete und auch die Verteidiger linksliberaler Werte an ihre Verantwortung für das Ganze erinnerte. "Auf inszenierte Tabubrüche von Populisten folgt oft die moralische Zurückweisung", sagte er: "Und beides trägt weiter zur Polarisierung bei."

Die Historikerin Ute Frevert stimmte zu: "Wir erleben eine Politisierung der Emotionen", meinte sie. Zwar sei auch etwa in den 80er-Jahren mit Emotionen Politik gemacht worden, doch damals sei im Gegensatz zu heute nicht versucht worden, dadurch eine Spaltung der Gesellschaft herbeizuführen, sondern eine gemeinsame Verantwortung einzufordern - etwa für Umweltschutz. Insgesamt gelte aber, dass zum Beispiel in den 20er-Jahren die Polarisierung der Gesellschaft "unendlich viel größer als heute" gewesen sei.

"Sofortverurteilung, um Ordnung zu schaffen"

Cornelia Koppetsch bemühte sich, die Runde zu provozieren. In Deutschland habe sich "ein hilfloser Anti-Populismus eingerichtet", dabei tobe längst ein Konflikt darum, wer die Spielregeln definiere, sagte sie. Auch die "kosmopolitischen Milieus" verfolgten in der Verteidigung der offenen Gesellschaft und der durchlässigen Grenzen "partikulare Interessen", urteilte die Soziologin. Als Mittel gegen Spaltung empfahl sie nicht nur Sensibilität für die Wünsche anderer Gruppen, sondern mehr: "Man muss die anderen auch teilhaben lassen."

Die psychologischen Mechanismen brutalisierter Kommunikation im Digitalzeitalter erläuterte Bernhard Pörksen: "Die Sofortverurteilung ist eine Handlung, um Ordnung zu schaffen." Die "gigantische Öffnung des Kommunikationsraums" durch soziale Netzwerke bedeute eine Zumutung, mit der umzugehen die Gesellschaft noch lernen müsse.

Andreas Hollstein, den ein Gegner seiner humanitären Flüchtlingspolitik im November 2017 mit einem Messer verletzt hatte, kritisierte, die Politik habe vor Entwicklungen, die Menschen ihre Heimat raubten, "schlicht die Augen zugemacht". Die Rechtspopulisten aber hätten keine Mehrheit. Da war er ganz nah beim Gastgeber, der gegen alle Probleme festhielt: "Unsere Demokratie steht nicht kurz vor dem Schmelzpunkt."

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