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Politik: Die Männer mit den schwarzen Masken klopften an fast jede Tür

SKOPJE .Es war, als würde eine Schlinge um den Hals immer fester zusammengezogen.

SKOPJE .Es war, als würde eine Schlinge um den Hals immer fester zusammengezogen."Wir hatten Angst und trauten uns nicht mehr, das Haus zu verlassen", berichtet Arbenor Morina.Schon einen Monat lang war Cikatovo, ein Dorf in der Nähe von Glogovac, von serbischen Einheiten umzingelt.Den Bewohnern werde nichts passieren, wenn sie nicht mit den bewaffneten Rebellen der "Kosovo-Befreiungsarmee" (UCK) kooperieren würden, versicherten die Polizisten Mitte März, zu Beginn der Belagerung.Dann versprachen sie Rache, sollte die Nato angreifen.

Bis die Männer draußen vor dem Dorf ihre Drohung wahr machten, vergingen viele lange Tage und Nächte.Meist zu später Stunde klopften die Männer mit den schwarzen Gesichtsmasken an die Türen und verlangten Geld oder Wertsachen.Wer noch etwas zu geben hatte, konnte sich glücklich schätzen.Einen Monat lang haben die Menschen nur Brot gegessen und in den Kleidern geschlafen.Man rückte näher zusammen.An jenem 17.April lebten die Bewohner in drei Häusern zusammengepfercht.Schon die ganze Nacht waren Schüsse zu hören: "Wir wußten nicht, was draußen vor sich ging", sagt Arbenor Morina.Als die Reihe an den Morinas war, stellten sie fest, daß sie die letzten waren.Polizei und Armee hatten die Bewohner der anderen Häuser schon abgeholt.

Heute sitzt Arbenor Morina in einem Zelt im Flüchtlingslager von Cegrane, die Beine auf dem harten Boden verschränkt und berichtet über seine dramatische Vertreibung.Das Camp im Westen Mazedoniens, am Berghang über Gostivar, ist eines der größten im kleinen, von Flüchtlingen überschwemmten Land.30 000 Kosovo-Albaner sind auf engem Raum und vom hohen Drahtzaun umgeben untergebracht.Frühsommerliche Hitze lastet schon über dem Lager, das von deutschen Soldaten innerhalb kürzester Zeit aufgebaut wurde.Von den viel zu wenigen Latrinen her kommt übler Geruch.Duschen gibt es auch nach zwei Wochen noch keine, und unter jedem der dünnen Dächer hausen bis zu zehn Flüchtlinge.An den Zeltleinen hängt Wäsche.In den engen Reihen tummeln sich die Kinder.

Auf dem Zelt von Arbenor Morina steht H 21/7 geschrieben.Statt einer Adresse ein undurchsichtiger Code.Der Lärm eines Bulldozers, der Platz für noch mehr Zelte einebnet, dröhnt, während Arbenor Morina berichtet.Nur mit viel Glück hat der 17jährige vor einem Monat die Hinrichtung der Männer seiner Familie überlebt.

Noch in Cikatovo, nach der Vertreibung aus dem Haus, werden die Männer von den Frauen getrennt.Alle, sagt Arbenor Morina, hätten gewußt, was geschehen würde.Polizisten reißen seinem Vater die kleine Tochter aus dem Arm.Die Frauen werden angewiesen, zu verschwinden, die vier Kilometer bis zur Kleinstadt Glogovac zu gehen.In Cikatovo ist alles voller Rauch.Häuser brennen, hinter einer Mauer sind Gewehrsalven und Schreie zu hören.Dorthin werden auch die Männer der Familie Morina geführt, die Hände hinter dem Kopf verschränkt.Die Großmutter ist es, die dem Enkel das Leben rettet.Arbenor sei doch erst 15, fleht sie einen Polizisten an und der großgewachsene Jüngling wird freigelassen.Die Männer im Alter zwischen 17 und 65 sind im Visier, in den Augen der Polizisten alles potentielle Sympathisanten der bewaffneten Rebellen.

Sabit Morina, der Vater, verschwindet hinter der Mauer.Mit ihm der 85jährige Onkel Muharem, des Vaters Cousin Bahtir Morina mit seinen zwei Söhnen, der 60jährige Cousin Tahir, der 30jährige Florim und der 38jährige Sokol Morina.Arbenor, seine Mutter, die Großeltern, Tante und Cousine gehen ein paar Schritte weiter und bleiben dann doch stehen.Sie hören noch mehr Schreie und Schüsse.Dann wird es ruhig.Die Mutter eilt zur Mauer.Sie kann nur noch einen Blick auf die Leichen werfen, bevor sie von einem Polizisten wieder weggejagt wird.

Im Zelt mit der Adresse H 2818, nur wenige Reihen von Arbenor Morina entfernt, kniet Yusuf Haxhija.Die Hitze treibt ihm Schweißperlen auf die Stirn und die Erinnerung an die letzten Tage in seinem Heimatdorf Gradica die Tränen in die Augen.26 Leichen hat Yusuf, der 60jährige, innerhalb von knapp zwei Wochen zusammen mit anderen begraben.An einem der letzten Tage töteten die Paramilitärs den 17jährigen Sohn Esat und den 14jährigen Nehat des Nachbarn Bylykbashi.Die Familie war gerade beim Essen, als die bewaffneten Serben ins Haus eindrangen.Die 17jährige Tochter eines Nachbarn wurde von der Polizei abgeholt.Sie müsse in der Polizeistation "kochen", wurde den Eltern gesagt.Das Mädchen kam erst am nächsten Tag wieder.

Vor allem die Schreie aus der Garage neben seinem Haus kann Yusuf Haxhija nicht vergessen.Zwei Tage vor der Flucht fuhren Paramilitärs in einem roten Golf vor.Aus dem Kofferraum holten sie einen unbekannten Mann, die Hände gefesselt.Als die Paramilitärs wieder abzogen und Yusuf Haxhija in der Garage nachschaute, fand er dort die Leiche, Nase und Ohren waren abgeschnitten."Selbst wenn es mein Bruder gewesen wäre, hätte ich den Mann nicht erkannt", sagt er.Vier Tage nacheinander schlagen die Polizisten auch an die Tür von Yusuf Haxhija und verlangen Geld.Dann bleiben ihm keine Wertsachen mehr, und er macht sich früh am fünften Tag ins benachbarte Glogovac auf.

Während die Vertreibungen noch immer im Gang sind, wird in Albaniens und Mazedoniens Flüchtlingslagern bereits Beweismaterial gegen die Täter zusammengetragen.Hilfswerke gehen Hinweisen auf mögliche Zeugen nach.So wurden etwa die Zeugnisse von Arbenor Morina oder von Yusuf Haxhija vom albanischen "Komitee zum Schutz der Menschenrechte" bereits weitergeleitet.

Delegierte der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), bis Ende März selbst noch im Kosovo tätig, haben bisher am intensivsten gezielt Flüchtlinge nach Kriegsverbrechen befragt.Rund 1200 Interviews seien bereits geführt worden, berichtet der Deutsche Bernd Borchardt, Chef der Abteilung für Menschenrechte und stellvertretender Missionschef in Skopje.Erstmals würden mögliche Kriegsverbrechen praktisch in "Echtzeit" untersucht.Die meist zweistündigen Befragungen zeigen, daß die Vertreibungen von den serbischen Einheiten "nach Plan" und systematisch durchgeführt werden.Die Männer mit den schwarzen Gesichtsmasken haben an fast jede Tür geschlagen.Zwischen Paramilitärs, Soldaten der jugoslawischen Bundesarmee oder serbischer Polizei gibt es keine grundsätzlichen Unterschiede.Berichte über Massaker konzentrierten sich anfänglich auf Gebiete im Westen des Kosovo.Gewalt ist nicht die Regel, doch den Grausamkeiten sind keine Grenzen gesetzt.

Hinweise auf Massengräber will man nicht veröffentlichen, um Vertuschungsversuche zu vermeiden.Berichten über Massaker oder Hinrichtungen wird gezielt nachgegangen.Für einen "Vorfall" wird möglichst nach mehreren Zeugen gesucht.Man will sich nicht aufs "Hörensagen" verlassen.Für die Augenzeugen sei es oft schon eine große Erleichterung, ihre Erlebnisse einem Außenstehenden erzählen zu können, sagt eine Schweizer OSZE-Mitarbeiterin.Die Gespräche werden genau protokolliert.Stück für Stück werden die Mosaiksteine zu einem düsteren Bildes zusammengefügt.

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