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Hooligan-Demo in Hannover.

© AFP

Fremdenfeindlichkeit: Die Politik kann sich keine Doppeldeutigkeit leisten

Die Ausländerfeindlichkeit geht zurück, belegt eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Andererseits erwacht die Hooliganszene zu neuem Leben. In Zukunft wird die Willkommenskultur der Deutschen noch auf eine harte Probe gestellt werden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Anna Sauerbrey

In Steglitz-Zehlendorf organisiert ein „Willkommenbündnis“ schon jetzt Hilfe für die rund 640 Flüchtlinge, die dort noch in diesem Jahr in zwei „Containerdörfern“ untergebracht werden sollen. In der bayerischen Provinz fahren Hausfrauen syrische Kinder zum Arzt. Die Ausländerfeindlichkeit ist zurückgegangen. Das bestätigte gestern sogar eine Untersuchung der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES): Nur noch bei 7,5 Prozent der Befragten konnten die Autoren der alle zwei Jahre erscheinenden Rechtsextremismus-Studie ausländerfeindliche Einstellungen feststellen. 2012 waren es noch 25,1 Prozent. Deutschland, Willkommensland. Das ist die eine Seite.

Auf der anderen Seite erwacht die Hooliganszene zu neuem Leben. In Köpenick und Hellersdorf, aber auch anderswo in der Republik, machen Bürgerinitiativen gegen geplante Unterbringungen für Asylsuchende mobil. Am Sonnabend werden 1000 Menschen in Marzahn zu einer Kundgebung erwartet. Der hässliche ausländerfeindliche Deutsche mag seltener geworden sein. Aber umso sichtbarer.

In den nächsten Jahren wird die Willkommenskultur der Deutschen auf eine harte Probe gestellt. Von Januar bis Oktober wurden in Deutschland so viele Asylanträge registriert wie seit 1995 nicht mehr, rund 158 000. Die Untersuchung der FES zeigt, dass Asylsuchende besonders unbeliebt sind, fast jeder zweite Deutsche hat Vorurteile gegen sie. Berlin ist, wie so oft, Kristallisationspunkt dieses Konflikts. Rund 14 000 Menschen werden hier bis Ende des Jahres wohl in Sammelunterkünften leben.

Uneingeschränkte Toleranz kann rechte Strömungen stärken

In welche Richtung das Pendel ausschlägt, ob sich der neue deutsche Humanismus halten kann oder sein schäbiger brauner Widerpart zurückschlägt, hängt vor allem auch von der Art und Weise ab, wie die Politik mit diesem Thema umgeht. Paradoxerweise könnte gerade uneingeschränkte Toleranz dazu führen, dass rechte Strömungen gestärkt werden. Zwischen der berechtigten Sorge von Anwohnern rund um alte und neue Flüchtlingsunterkünfte und der rechten Propaganda gegen das „Ausufern“ (so die Rhetorik einer Berliner Bürgerinitiative) hat sich eine Grauzone gebildet, in der Ursache und Wirkung, echte Bedenken und rechte Gedanken kaum mehr zu unterscheiden sind. Es entwickelt sich eine politische Reaktionskette: Menschen, die sich von den derzeitigen Flüchtlingszahlen bedroht fühlen, suchen Formen, in denen man sich als guter Bürger fühlen und dennoch seiner Sorge Ausdruck verleihen kann. Die AfD hat diese Grauzone zu ihrem Programm gemacht. „Einwanderung braucht klare Regeln“, ihren Wahlkampfslogan, kann jeder gute Bürger unterschreiben. Und jeder heimliche Rechte auch.

Gleichzeitig, das stellt auch die Ebert-Stiftung fest, arbeiten auch die „echten“ Rechten, etwa die von der NPD, mit immer subtileren Techniken, um das Spektrum besorgter Bürger in ihre Reihen zu integrieren. Echte und vermeintliche Bürgerinitiativen, etwa gegen Flüchtlingsheime, werden gegründet oder gekapert. Als weiche Angebote saugen sie die Unzufriedenen auf. Medien berichten über Infiltration oder Instrumentalisierung durch die „echten“ Rechten und verstärken so den Verdacht gegenüber den Heimkritikern. Die Sachdebatte gerät unter Ideologievorbehalt. Das spielt den Rechten erneut in die Hände, die den Kampf gegen den vermeintlichen gesellschaftlichen Maulkorb längst zu einem ihrer liebsten Motive gekürt haben.

Um dem Doppelspiel von Rechten und Rechtspopulisten zu begegnen, darf sich die Politik keine Doppeldeutigkeiten leisten. Die Zahl der Flüchtlinge muss kommuniziert und in Relation gesetzt werden, auch die Kosten, die damit verbunden sind – wie eine gute (und damit weniger konfliktträchtige) Unterbringung. Die Unterkünfte müssen außerdem in staatliche Hand, gerade in Berlin. Die Stadt muss die Verantwortung für die Flüchtlinge übernehmen – und damit auch klarer Ansprechpartner für besorgte Bürger sein. Gerade jetzt, wo Deutschland ein Willkommensland ist, darf die Politik die Verunsicherten und Ängstlichen und Verärgerten nicht verlieren.

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