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Politik: Die Rückkehr der Sittenwächter

Unter den Taliban waren sie gefürchtet, jetzt sollen Religionspolizisten auch im neuen Kabul Ruhe und Ordnung sichern

Von Elke Windisch

und Ulrike Scheffer

Viele Afghanen können es noch immer nicht glauben: Ab sofort wird in Afghanistan wieder die Religionspolizei unterwegs sein, eine Institution, die in der Talibanzeit mit drakonischen Strafen Angst und Schrecken verbreitet hatte. Ehebrecher wurden gesteinigt, Mörder erschossen oder gehängt. Dieben wurde die Hand abgehackt, Alkoholgenuss mit Auspeitschung geahndet. Die Peitsche bekamen auch Frauen zu spüren, die sich außerhalb ihres Hauses ohne die blaue Burka sehen ließen, und Männer, die ihren Bart stutzten. So stand es in einem der ersten Dekrete, die das Ministerium zur Verhütung von Lastern und der Beförderung der Tugend im Herbst 1996 nach der Machtübernahme der Taliban erließ.

Jetzt sollen die Strafen erheblich milder ausfallen und nicht mehr öffentlich vollstreckt werden, versprach Vize-Justizminister Fazil Ahmad Manavi. Dennoch: Wer vom Pfad der Tugend abkommt, muss mit Gefängnis, Auspeitschung und empfindlichen Geldstrafen rechnen. Als besonders verwerflich bezeichnete Manavi am Donnerstag Alkoholgenuss, außereheliche Beziehungen und Homosexualität – ein Delikt, das die Gesellschaft bisher angesichts horrender Brautpreise meist stillschweigend tolerierte. Vor allem aber sollen die Religionspolizisten, 250 Männer und 50 Frauen, laut Manavi als „Agitatoren und Propagandisten“ vorbeugend wirken.

Besonders in Schulen soll künftig bei Razzien die Einhaltung islamischer Gesetze kontrolliert werden. Das weckt bei vielen Afghanen Erinnerungen an das Wüten iranischer Revolutionswächter nach der islamischen Revolution Ende 1978. Damals wurden Schülerinnen einer Teheraner Schule exekutiert, weil sie beim Turnen in Sportkleidung erwischt worden waren.

Zur Wiedereinführung der Scharia – des islamischen kanonischen Rechtes – war die afghanische Übergangsregierung von Hamid Karsai Mitte Juni von der Großen Ratsversammlung verpflichtet worden. Vor allem die Delegierten aus dem Dunstkreis der einstigen Nordallianz, die heute Schlüsselposten in der Kabuler Regierung besetzt, forderten dies in der Loya Dschirga ein. Die Nordallianz hatte die radikalislamischen Taliban zwar bekämpft, die Scharia in ihrem Herrschaftsbereich jedoch ebenfalls aufrechterhalten. Auch der Chef der neuen Religionspolizei, Mohammed Mustafa, ist ein Repräsentant der einstigen Taliban-Widersacher. Er soll derzeit vom obersten Gericht beaufsichtigt werden. Einen ersten Erfolg kann Mustafa schon vorweisen: die Beschlagnahmung von Schweinefleisch, das US-Soldaten offenbar in Kabul absetzen wollten.

Das Auswärtige Amt in Berlin warnt indes davor, die Einführung der Scharia und die Arbeit der Religionspolizei als Rückschlag für den Demokratisierungsprozess zu werten. „Man sollte einzelne Elemente des afghanischen Rechts nicht überhöhen“, sagte Michael Schmunk, der Leiter des Sonderstabes Afghanistan im Außenministerium, am Donnerstagabend bei einer Diskussionsveranstaltung des Berliner Osteuropa-Zentrums. Der Aufbau eines Rechtssystems werde viele Jahre dauern, so der Experte, traditionelle Werte könnten dabei nicht einfach beiseite geschoben werden. „Wichtig ist aber, dass am Ende der Entwicklung der richtige Mix aus gewachsenen und modernen Rechtsauffassungen steht.“

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