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Politik: Die Saarpartei

Erich Honecker, Oskar Lafontaine und eine DDR-Radsportlegende – warum es bei der Linken ohne alte Idole nicht läuft

Von Matthias Meisner

Der Parlamentariertag der Linkspartei hat noch nicht begonnen, und Lothar Bisky fängt schon an zu lästern. Bisky, bis vergangenen Mai noch einer der beiden Vorsitzenden und heute Europaabgeordneter, holt sich an der Bar des Magdeburger Kulturhauses Fichte einen Espresso und sagt, gefragt nach der Lage seiner Partei, die sei nicht berauschend: „Die alten Säcke müssten weg.“ Noch nie habe es so viel „ideologischen Ballast“ gegeben wie in der jetzigen Führung. Auch die 6,4 Prozent der Linken bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg stimmen den Ex-Chef nicht froh. In einer Großstadt hätte mehr drin sein müssen, meint er.

In den offiziellen Reden des ersten gemeinsamen Treffens von Linken-Abgeordneten aus Bund, Europa und Ländern – immerhin 190 von 281 haben sich angemeldet – soll es aber nicht um Selbstkritik gehen. Hamburg sei „ein Super-Auftakt für das Super-Wahljahr“ gewesen, sagt der Berliner Fraktionschef Udo Wolf am Samstag gleich zu Beginn der Konferenz. Wulf Gallert, Spitzenkandidat bei der Wahl in Sachsen-Anhalt, erwartet vom 20. März ein klares Signal. „Die Linke ist auf der Siegerstraße“, ruft er in den Saal. Dafür gibt es als neues Kernthema die Demokratie. Die sei in Deutschland „beschädigt“, verkündet Parteichefin Gesine Lötzsch, Urheberin der bizarren Kommunismus-Debatte zu Jahresanfang. „Wirksam und fortschrittsbezogen“ könne es eine Linke „nur als demokratische Linke“ geben, versichert der Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi.

Noch während Gysi spricht, lichten sich die Reihen der Konferenz. Zeitgleich nämlich findet im kleinen Ort Kleinmühlingen im Bördeland ein anderer von der Linkspartei organisierter Event statt – die Geburtstagsgala für die DDR-Radsportlegende Gustav-Adolf „Täve“ Schur, der gerade 80 geworden ist. „Tusch für Täve“ ist ein Pflichttermin für die Ost-Kader der Linkspartei, die sich gegenseitig versichern wollen, dass sie in der DDR gern gelebt habe. In der Sporthalle von Kleinmühlingen sammeln sich Hunderte zur Gratulationscour. Fraktionsgeschäftsführerin Dagmar Enkelmann berichtet mit glänzenden Augen, wie sie Täve schon als kleines Mädchen bei der Friedensfahrt zugejubelt habe. Ex-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch nennt Schur eine „moralische Institution“.

Inzwischen hat sich auch ein Honecker-Double zu dem wohl populärsten Sportler der DDR vorgearbeitet, der vor der Wende in der DDR-Volkskammer saß und von 1998 bis 2002 für die PDS im Bundestag. „Erich Honecker war eigentlich ein Waisenknabe gegen die Politiker, die sich heute an erste Stelle stellen“, sagt der Mann. Schur würde es kaum anders formulieren. Gefragt nach besonders beeindruckenden Menschen hat er vor ein paar Tagen dem „Neuen Deutschland“ den gebürtigen Saarländer Honecker, den Staatspräsidenten Wilhelm Pieck und den Zehnkämpfer Alfred Neumann aufgezählt, „wirkliche Größen“. Roland Claus, der Schur zu dem Termin abgeholt hat, weiß als Anekdote beizusteuern, dass er schon 1991 beim 60. Geburtstag dabei war. Damals habe Täve daheim den Weinbrand Kastell aus dem Harz ausgeschenkt und erzählt: „Und wisst ihr, von wem ich die Gläser habe? Von Honecker, zum 50!“

Die Band Karussell spielt, später dann singt Gaby Rückert mit Ingo Koster das Lied von der Mokkamilcheisbar. Der letzte DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel gratuliert, Ex-Tatort-Kommissar Peter Sodann trägt alte Fanpost vor. Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau erinnert sich, wie sie mit Schur im Bonner Regierungsviertel um die einzige ND-Ausgabe gebuhlt habe, die dort am Kiosk zu haben war. Ein Exemplar vom letzten Sitzungstag des Bundestags in Bonn vom 2. Juli 1999 ist ihr Geschenk. Ziemlich gegen Ende kommen auch Lötzsch und Gysi. Sie bringt die erste illustrierte Ausgabe des „Kapitals“ von Karl Marx, er würdigt den „tollen Typ“ Täve. „Du hast da neulich ein Ding gucken lassen“, bedankt sich Schur für Lötzschs Thesen zum Kommunismus: „Zu dem steh’ ich auch.“

Am Sonntag sitzen alle wieder im Magdeburger Kulturhaus, das Retro-Gefühl ist wieder weg. DGB-Chef Michael Sommer ist nun der Stargast. Er nennt die Linke eine im demokratischen Spektrum dauerhaft etablierte Partei, das gibt Applaus. SPD, Linke und Grüne müssten zusammenarbeiten, gegeneinander lasse sich nichts erreichen, sagt Sommer. Die Antwortrede hält Ex-Chef Oskar Lafontaine. Er, formal nur Fraktionsvorsitzender im Saarland, hat von der Regie an diesem Wochenende so viel Redezeit bekommen wie sonst nur Sommer und Gysi. Lafontaine diktiert seine Bedingungen für ein Linksbündnis: „Unsere Verbindungen zu anderen gehen nicht so weit, dass auch Sozialabbau zum Programm erhoben wird.“

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