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Politik: „Die SPD ist mehr als Schröder“

Kanzler-Kritiker Ottmar Schreiner über die Aussichten für die Zeit nach der NRW-Wahl und Lernen von Mao

Herr Schreiner, ist die SPD nach sechs Regierungsjahren mit Gerhard Schröder noch Ihre Partei?

Die SPD ist mehr als der Bundeskanzler. Das wird auch bald wieder deutlich werden.

Was macht Sie da so sicher?

Die Zeit ist reif für einen Kurswechsel. Das zeigen die positive Resonanz auf die Kapitalismuskritik von Franz Müntefering in der Bevölkerung und die Bilanz der bisherigen Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik der Regierung. Rot-Grün ist angetreten, um die Arbeitslosigkeit zu senken und die Kinderarmut zu bekämpfen. Die Wirklichkeit spricht eine andere Sprache. Die Arbeitslosigkeit hat eine neue Rekordhöhe erreicht, die Kinderarmut ist gewachsen.

Und daran ist allein die Regierung Schröder schuld?

Sie hat die Beschäftigungskrise mit verursacht, indem die Sozialleistungen gekürzt, die Steuern auf breiter Front gesenkt und die Gewerkschaften zu einer zurückhaltenden Lohnpolitik gedrängt wurden. Das alles hat die Binnenkonjunktur entscheidend geschwächt. Das Ergebnis sind fünf Millionen Arbeitslose. Der zentrale Irrtum war, zu glauben, man könne die Beschäftigungskrise mit Arbeitsmarktreformen à la Hartz und einer massiven Steuerentlastung von Unternehmen meistern.

Wie sähe der von Ihnen erhoffte Neuanfang aus?

Wir brauchen zur Belebung der Binnenkonjunktur wieder Lohnsteigerungen, die mit der Produktivität mithalten. Und wir brauchen ein öffentliches Investitionsprogramm in Höhe von 20 Milliarden Euro jährlich.

Wie sollte ein solches Programm denn finanziert werden?

Zum Teil würde es sich selbst finanzieren, weil es Hunderttausende neuer Jobs brächte und vor allem das Handwerk und den Mittelstand stärken würde. Im Ergebnis würden die Kosten der Arbeitslosigkeit sinken und die Steuereinnahmen steigen. Der Rest müsste durch eine deutlich höhere Belastung höherer Einkommen und Vermögen bezahlt werden. Die Vermögenden tragen fast nichts mehr zur Finanzierung der öffentlichen Aufgaben bei.

Mit solchen Forderungen stoßen sie in der SPD-Führung seit Jahren auf taube Ohren. Warum sollte dies jetzt anders sein?

Müntefering hat mit seiner Kapitalismuskritik die Missstände doch selbst benannt. Die Misere der öffentlichen Haushalte ist das Ergebnis der Steuersenkungspolitik. Das Sinken der Löhne wird befördert von Hartz IV, weil damit jede Arbeit zu jedem Einkommen zumutbar gemacht wurde. Und das kurzfristige Profitstreben der Unternehmen wurde dadurch erleichtert, dass die Veräußerung von Unternehmen steuerlich freigestellt wurde. All das muss jetzt korrigiert werden, sonst wird das Glaubwürdigkeitsdefizit der SPD noch größer.

Bauen Sie darauf, dass sich viele in der SPD Ihren Forderungen anschließen, wenn die Wahl in Nordrhein-Westfalen verloren geht?

Es gilt der Satz von Mao: Von Niederlage zu Niederlage zum Sieg. Der Vertrauensverlust der SPD, der sich in den Umfragen, dem dramatischen Mitgliederschwund und den Wahlniederlagen der vergangenen Jahre zeigt, hat doch einen einfachen Grund. Die Politik hat ihr fundamentales Versprechen gebrochen. Es lautete: Wenn du, Arbeitnehmer, deine Leistung bringst, dann sorgen wir, die Politik, dafür, dass du in der Not nicht ins Bodenlose fällst. Genau das passiert aber im Falle der Arbeitslosigkeit bei Hartz IV. Da werden Menschen, die 30 Jahre gearbeitet und in die Sozialsysteme eingezahlt haben, nach einem Jahr Arbeitslosigkeit in die Armut geschickt. Wenn die SPD das nicht korrigiert, kann sie kaum Wähler zurückgewinnen.

Sie rechnen also nicht mehr mit einem Sieg in NRW.

Als Sozialdemokrat muss man Berufsoptimist sein. Für die SPD wäre der Machtverlust in NRW ein schwerer Schlag. Die Identifikation der Partei mit NRW ist ähnlich stark wie die der CSU mit Bayern. Das hätte eine andere Qualität als die Niederlagen in anderen Bundesländern, so bitter diese auch waren.

Gäbe es in der SPD-Bundestagsfraktion nach einer solchen Erschütterung noch eine Mehrheit für eine Senkung der Körperschaftsteuer und der Erbschaftsteuer bei der Vererbung von Firmenvermögen?

Auch hier gilt Mao: Wenn der Wind pfeift, wackelt der Berg. Es gibt in der Fraktion schon jetzt erheblichen Widerstand gegen die Senkung der Körperschaftsteuer und die Vergünstigungen bei der Vererbung von Firmenvermögen. Am Ende wird es nur unter zwei Bedingungen eine eigene Mehrheit der Koalition geben. Erstens darf die Senkung der Körperschaftsteuer nicht zu weiteren Einnahmeausfällen führen, muss also bis ins Letzte gegenfinanziert werden. Daran gibt es bisher erhebliche Zweifel. Zweitens kommt eine Senkung der Erbschaftsteuer bei Firmenvermögen nur in Frage, wenn zugleich die Erbschaftsteuer auf große Privatvermögen angehoben wird. Das haben wir auf unserem Bochumer Parteitag so beschlossen.

Wenn es stimmt, was berichtet wird, dann wollen Sie doch ohnehin dazu beitragen, dass Rot-Grün die Mehrheit verliert. Es heißt, Sie würden nach einer Niederlage in NRW die Partei verlassen und drei weitere SPD-Abgeordnete mitnehmen. Auch ein Treffen der Dissidenten soll es schon gegeben haben.

Der entsprechende Bericht war frei erfunden. Es gab weder ein Treffen, noch eine Verabredung.

Heißt das: Ottmar Schreiner bleibt in der SPD, komme, was da wolle?

Ich kann für keine Organisation ein Ewigkeitsgelübde abgeben. Es muss so sein, dass man sich mit ihr identifizieren kann.

Wir fragen auch nicht für alle Ewigkeit, sondern nur für die Zeit bis zur Bundestagswahl.

Na gut. Ich will dazu beitragen, dass die SPD ihren Kurs korrigiert. Und das werde ich nach der NRW- Wahl erneut versuchen. Die SPD hat es in der Hand, ihre Wähler zurückzugewinnen und die Entstehung einer neuen linken Bewegung zu verhindern.

Sie meinen die Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit, mit der Oskar Lafontaine liebäugelt. Würde sein Austritt der SPD schaden?

Ich glaube schon. Er bietet für viele Menschen Orientierung. Die SPD-Führung sollte auf ihn zugehen.

Können Sie sich vorstellen, selbst einer neuen linken Bewegung beizutreten?

Das ist eine hypothetische Frage.

Aber angesichts der knappen rot-grünen Mehrheit von Bedeutung.

Entscheidend für das Ausmaß der Erschütterungen in der SPD-Bundestagsfraktion wird sein, ob es zu Kurskorrekturen kommt oder ob es heißt: Augen zu und durch.

Gerhard Schröder wird seinen Agenda- Kurs nicht aufgeben wollen.

Die Einsichtsfähigkeit der Bundesregierung wird unterschätzt. Es hat bei Hartz erste Korrekturen gegeben, weitere müssen folgen. Bei Hartz ist die Lockerung der Zumutbarkeitsregeln zwingend. Außerdem geht es nicht an, dass Arbeitslose, die 30 Jahre lang eingezahlt haben, gleich behandelt werden wie jene, die nur zwei Jahre eingezahlt haben. Unabdingbar ist außerdem, dass die Steuerbefreiung von Veräußerungsgewinnen zurückgenommen wird.

Hätte der Kanzler Ihre Stimme, wenn er nach der NRW-Wahl die Vertrauensfrage stellen würde?

Ich glaube nicht, dass er das tut. Und ich würde ihm auch davon abraten, weil…

…er die Prüfung nicht bestehen würde?

Weil das ein Instrument ist, das man nur in Notfällen gebrauchen sollte. Vertrauensfragen haben nur Sinn, wenn sie an ein Projekt gekoppelt werden, das der Bundeskanzler als gefährdet ansieht.

Die Agenda 2010 und die Job-Gipfel-Beschlüsse könnten ein solches Projekt sein.

Es wäre besser, die Vertrauensfrage mit praktischen Schlussfolgerungen aus der Kapitalismuskritik zu verknüpfen. Dann hätte der Kanzler ganz sicher eine Mehrheit.

Das Gespräch führten Tissy Bruns und Stephan Haselberger. Das Foto machte Kai-Uwe Heinrich.

FRÜHER MITTE

Früher gehörte Ottmar Schreiner ins Zentrum der SPD. Ende der 90er Jahre war der heute 59-Jährige Bundesgeschäftsführer der Partei, etwa zeitgeich auch stellvertretender Chef der Bundestagsfraktion.

REBELL AM RAND

Inzwischen ist der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) in der SPD als Linker an den Rand gedrängt. Er war vor zwei Jahren Anführer des fraktionsinternen Widerstands gegen die Arbeitsmarktreform.

LAFONTAINE-FREUND

Der Vertraute von Ex-Parteichef Oskar Lafontaine kommt auch aus dem Saarland. Vor dem Jura-Studium war er Fallschirmjäger beim Militär.

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