zum Hauptinhalt
Wahlplakat mit Kanzlerkandidat Armin Laschet

© Kai Pfaffenbach/REUTERS

Die Union vor der entscheidenden Jamaika-Sondierung: Der Feind im eigenen Haus

Er riecht nach Sabotage: Kurz vor dem Jamaika-Treffen zwischen Union und Grünen sickern Details aus dem FDP-Treffen durch

Von Robert Birnbaum

Es gibt verschiedene Methoden, um vertrauliche Gespräche zu sabotieren, aber eine funktioniert todsicher: Man plaudert darüber.

Am Sonntagabend haben Union und FDP sich zu einer ersten Vorsondierung über ein mögliches Jamaika-Bündnis getroffen. Am Montag zitiert „Bild“ nicht nur aus dem Vorgespräch zwischen CDU und CSU, sondern auch aus der Runde mit den Freien Demokraten.

Inhaltlich steht da nichts, was sich nicht jeder selbst denken konnte. Aber beim Bruch von Vertraulichkeit kommt es nicht auf das Was an, sondern auf das Ob.

Und auf die Intonierung. Dass Christian Lindner ein Jamaika-Bündnis mit der Union einer Ampel mit Olaf Scholz und der SPD vorziehen würde, hat der FDP-Chef mehrfach öffentlich verkündet. Dass er das in der Vorsondierung wiederholt habe – nur logisch. Dass CDU und CSU dafür am Dienstag bei ihrem Treffen mit der Grünen-Spitze die zweite Kanzlermacher-Partei „rüberziehen“ müsse, ergibt sich ebenfalls von selbst – die flapsige Formulierung stammt allerdings nach dem Bericht aus einem Unionsmund.

Die FDP reagierte prompt und sauer. „Es gab vergangenes Wochenende drei Sondierungsgespräche, an denen ich für die @fdp auch teilgenommen habe“, schrieb Parteivize Johannes Vogel . „Aus zweien liest und hört man nix. Aus einem werden angebliche Gesprächsinhalte an die Medien durchgestochen. Das fällt auf, liebe Union – und es nervt!“ Lindner retweetet seinen Vize, was das Genervtsein amtlich macht.

Wer den Mund nicht halten wollte, ist unklar. Laschet und seine Truppen waren es nicht. Denn in dem Bericht wird der Kanzlerkandidat als uneinsichtiger Stuhlkleber dargestellt, der fest davon überzeugt sei, dass er Kanzler werde. Wer Laschet etwas genauer kennt, weiß, dass das nicht stimmt. „Wir haben noch alle Chancen“, soll er gesagt haben. Das erschien am Sonntag nicht unrealistisch.

Ob es ab diesem Montag immer noch stimmt, ist nicht so sicher. Die Durchstecherei beantwortet schließlich eine Frage, die die FDP-Leute angeblich in der Sondierung gestellt haben sollen: „Wollt ihr es? Habt ihr die Nerven? Seid ihr geschlossen?“

Das sind sie erkennbar nicht. Man muss da nur an Markus Söder und seine Truppen denken, die den glücklosen CDU-Kandidaten schon im Wahlkampf weiter demontierten und danach – vergeblich – versuchten, den Jamaika-Anlauf im Keim zu ersticken.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Aber auch der Aufmarsch der Ego-Shooter, der Friedrich Merz, Jens Spahn oder Norbert Röttgen, die nur mit Mühe die Messer zurückhalten, zeugt nicht von Geschlossenheit.

Jürgen Trittin hat also bei dem Treffen mit der Union am Dienstag noch ein paar Fragen mehr als ohnehin schon. Der frühere Umweltminister will nämlich wissen, wer überhaupt Prokura hat, um über die Aussichten auf ein Jamaika-Bündnis zu reden. Laschet? Söder? Oder einer von denen, die sich in Stellung bringen? „Das sind natürlich alles Fragen, die wir mit Spannung erwarten, wenn wir mit denen sprechen“, stichelt der Grüne am Montag im Bayerischen Rundfunk.

Er blättert genüsslich den Stimmenwirrwarr auf: Der Junge-Union-Chef Tilman Kuban fordere, dass in der Partei kein Stein auf dem anderen bleiben dürfe, Spahn wolle schnell einen Parteitag und Merz eine Mitgliederbefragung, „um sich selbst an die Spitze der Partei setzen zu wollen“.

Diese Querschüsse treffen nicht nur Laschet, sondern jeden in der Union, der der SPD die Regierung nicht kampflos überlassen will. Das Treffen am Dienstag könnte dafür schon die Vorentscheidung bringen. Senken die Grünen den Daumen, ist der zweite Jamaika-Anlauf Geschichte, bevor er überhaupt beginnt.

Dabei liegen Schwarze und Grüne in Sachfragen gar nicht unendlich weit auseinander. In Baden-Württemberg wie in Hessen funktioniert die Paarung seit Jahren. In den Hauptlinien der Außen-, Europa- und Sicherheitspolitik, die in Landesregierungen keine und in Bundesbündnissen schnell eine große Rolle spielen, sind sich Union und Grüne ebenfalls nicht prinzipiell fern. Und in den Texten der Jamaika-Sondierungen vor vier Jahren liegen in manchen Kapiteln quasi abholbereit Formulierungen für Kompromisse, mit denen sogar Grüne und FDP zusammen auch heute noch gut leben könnten.

Schwarz-grüne Gesprächskreise – manche halb formell, manche fast geheim – haben darüber hinaus zum Teil über Jahrzehnte hinweg belastbare persönliche Verbindungen geschaffen. Das aktuelle Problem, sagt einer, der auf Grünen-Seite solche Brücken geschlagen hat, das aktuelle Problem sei, dass man nicht wisse, ob sich in der verunsicherten Union die Vernünftigen durchsetzen können. Die säßen nämlich häufig „in der zweiten oder dritten Reihe“.

Das hat zur Wahlniederlage der Union einen kräftigen Beitrag geleistet. Laschet hat lange gezögert, im Wahlkampf Teams vorzustellen, weil er sich damit zwischen die Fronten begeben musste: Hier die Männer und Frauen in Regierungsämtern, die mit jedem Versuch, neuen Aufbruch zu proklamieren, sich selbst dementiert hätten; dort frischere Gesichter, die aber außerhalb des Regierungsviertels kaum jemand kennt.

Sie rechtzeitig bekannt zu machen, fand die CDU in ihrem Selbstverständnis als natürliche Regierungspartei überflüssig. Als es nötig gewesen wäre, war es zu spät.

Die Vernünftigen im Grünen-Sinne sind darüber hinaus intern schlecht organisiert. Von den beiden einstmals großen Flügeln der Union ist nur noch der Wirtschaftsflügel als geschlossene Gruppe übrig. Seine Mitglieder sind häufig zugleich die Verfechter einer konservativen Wende.

Die Sozialausschüsse, einst die „Roten“ unter den Schwarzen, fristen seit Jahren ein Nischendasein. Die Frauen-Union bringt auf Parteitagen ein Gewicht ein, das Vorsitzfragen entscheiden kann. Im politischen Alltag agiert auch dieser Verband unter seinen Möglichkeiten.

Das alles schafft freie Bahn für die Schlacht der alten Egos in der CDU, die der gewiefte Taktiker Trittin zielsicher als zentrale Schwachstelle aufspießt.

Der Linksgrüne selbst galt übrigens bei den Anhängern eines schwarz-grünen Bündnisses lange Zeit als Schlüsselfigur. Sie waren sicher, dass ohne sein wohlwollendes Nicken der linke Teil der Grünen-Basis für ein Bündnis mit den C-Parteien niemals zu gewinnen wäre. Diese zentrale Rolle spielt der heute 67-Jährige nicht mehr. Aber ein harter, gewiefter Verhandler ist er immer noch.

Einigen in der CDU geht denn auch auf, dass sie sich mit ihren internen Machtkämpfen selbst aus dem Rennen schießt. Die Union solle FDP und Grünen keinen Vorwand zu liefern, um die Gespräche „mit Hinweis auf eine unklare Personallage in der CDU zu beenden“, mahnt der Vorsitzende der mitgliederstarken Kommunalpolitischen Vereinigung (KPV), Christian Haase. „Es dient unserer Partei nicht, wenn wir nur über Personal reden“, warnt der Chef der Parteisenioren, Otto Wulff.

Über vertrauliche Runden zu reden, dient ihr erst recht nicht.

Karin Prien, Bildungsministerin in Schleswig-Holstein und Mitglied von Laschets Wahlkampfteam, macht ihrer Empörung am deutlichsten Luft: „Was für eine charakterlos miese Nummer“, tweetet Prien. „Wer jetzt die Vertraulichkeit bricht, handelt vorsätzlich verantwortungslos.“ Ob der Vorgang mit einem „das nervt“ erledigt ist oder der Anfang vom Ende der Jamaika-Sondierungen war, werden Prien, Laschet und alle anderen bald wissen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false